piwik no script img

Fieber und Einigkeit

Die Friedensfahrt der Radfahrer strebt die Trennung von einer Vergangenheit an, zu der im Grunde auch Uwe Ampler gehört

aus Wolfsburg MARKUS VÖLKER

Auf die Hackordnung wird im Radsport penibel geachtet. Auch die Organisatoren der Friedensfahrt passen auf, dass nichts durcheinander gerät. Bei der Aufstellung des Fuhrparks stehen ganz vorn die Wagen der Topteams wie Telekom, Mapei und Farm Frites. Ganz hinten, schon fast im Gemüsestand des Wolfsburger Marktplatzes, wo Heidespargel, 4,50 Mark das halbe Kilo, feilgeboten wird, steht das Gefährt der Bunten Berte, ein Amateurteam, das für Milchprodukte wirbt.

Uwe Ampler fährt für die Bunten Berte. Er ist 35 Jahre alt, hat die Friedensfahrt viermal gewonnen (1987 bis 89 und 1998) und darf nach einer sechsmonatigen Dopingsperre, die ihm wegen eines zu hohen Testosteronwerts auferlegt wurde, wieder fahren. Ampler ist das Faktotum des Course de la Paix. Die Fans im Osten mögen ihn. Vielleicht, weil er im Bemühen, in der Marktwirtschaft zurecht zu kommen, so fürchterlich gescheitert ist. Vielleicht, weil sie nachvollziehen können, dass der Leipziger gegen seine Schulden in die Pedale tritt. Vielleicht auch, weil sie den Verdacht hegen, Ampler sei das Opfer eines Komplotts der Großkopferten geworden – den Wessis. Vor ein paar Jahren verließ er Telekom, nicht ohne dem Team zu unterstellen, sie hätten ihn unwissentlich gedopt. Beweisen konnte er das nie.

Nun hat er sich am Ende der Karawane eingerichtet. Gegen Telekom wird er wohl nichts ausrichten können. Keine Wettkampfpraxis. Er weiß nicht, wo er steht. „Ich fange gerade an“, sagt er. Ampler spricht zäh, die Worte purzeln wie Findlinge aus seinem Mund. Sekundenlang sagt er gar nichts. Auch weil er just mit der Präparation seiner Trinkflaschen beschäftigt ist. Zehn gelbe Tropfen zählt er in stilles Wasser. Man hofft ein wenig, dass es sich nicht um ein Vitaminpräparat, sondern um ein schnell wirksames Antidepressivum handeln möge, denn wie sich der Radprofi gibt, muss man befürchten, er schläft gleich auf seinem Rennrad ein oder steigt erst gar nicht auf, weil er sich lieber in ein dunkles Kämmerlein verkriecht.

Ampler fährt dann aber doch zur Einschreibung. Vorbei am Telekom-Wohnwagen, wo sie alle drin sind: Wesemann, Klöden, Hondo, Schreck, Kessler. All die deutschen GS-I-Leute. Dabei sagt Ampler: „Normalerweise habe ich noch das Leistungsvermögen, GS I zu fahren – aber nicht in Deutschland.“ Im Vorbeirollen fährt Ampler Eule, dem Masseur der Bonner, fast über den Fuß. Der ruft „hehehe“. Ampler reagiert nicht, verschanzt hinter einer blickdichten Sonnenbrille. Blöd auch, dass ihn die Wolfsburger nicht erkennen. Kein bisschen. Während sich ein paar Mädchen mit Andreas Klöden, dem Jungstar, ablichten lassen und zwei Kamerateams Steffen Wesemanns Familienglück festhalten, versucht Uwe Ampler nur so schnell wie möglich von den Zuschauern fort zu kommen.

Ein paar Schritte entfernt vom Trubel steht Jörg Strenger. Jedem, der ihm schon mal zu Gesicht gekommen ist, verpasst der Marketingdirektor der Rundfahrt einen ordentlichen Schlag auf die Schulter. Warum er das tut, erklärt er auch: „Das ist hier wie ein Fieber, eine Einigkeit, jeder klopft jedem auf die Schulter, einfach so.“ Die Friedensfahrt sei aus dem Gröbsten raus, deklamiert er. Das Rezept: Politik rausschmeißen, Emotionen drin- und Sponsoren reinlassen. „Von der Vergangenheit mussten wir uns ganz klar trennen“, so Stenger. „Ich kann nicht mit Sponsoren arbeiten, wenn ein Täve Schur mit im Vorstand sitzt.“ Deswegen trennte man sich frühzeitig von Schur, dem DDR-Radsportidol, der für die PDS im Bundestag sitzt.

Die Fahrt durch Deutschland, Polen und Tschechien, die heuer nach neun Etappen und 1.607 Kilometern in Prag endet, plant mit einem Budget von vier Millionen Mark. In der Bewertung des Radsportweltverbands UCI rangiert sie mit 2.4 nur knapp hinter der Deutschland-Tour (2.3).

Die Werbetrommel wird heftig gerührt. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat mit Hagen Boßdorf den Mann für die richtigen Rhythmen engagiert. Der MDR, so genannter Medienpartner der Friedensfahrt und immer dabei, wenn es um das „Bewahrenswerte des Ostens“ (Boßdorf) geht, überträgt täglich zwei Stunden live vom Rennen. Ursprünglich wollte der MDR alles live zeigen, doch die Polen und Tschechen konnten da nicht mithalten. Boßdorf sagt: „Für mich als Kind ist es das größte Rennen gewesen. Die Friedensfahrer sind die Helden meiner Jugend.“ Diesen Satz würde auch Stephan Schreck sofort unterschreiben. Der 22-jährige Telekom-Neuling würde sogar Ampler mit einbeziehen. „Als kleiner Junge habe ich zu ihm aufgeschaut, er hätte die Tour de France gewinnen können.“ Schreck, das große Nachwuchstalent, sagt über den Alten: „Er war ein großer Rennfahrer.“ War. Die Vergangenheitsform. Ampler taugt nicht mehr für den Präsens. Seine Zeit ist wohl vorbei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen