: Bewusstsein durch Sex
DAS SCHLAGLOCHvon KERSTIN DECKER
Ein Untergang mit Musik ist natürlich viel schöner als ein Untergang ohne Musik. In einer Hitparade der Untergänge käme die „Titanic“ sicher auf den ersten Platz. Wer 1998 schon alt genug war, ins Kino zu gehen, wird bei dem Namen „Titanic“ nun sein Leben lang „My heart will go on“ von Celine Dion hören und an Leonardo DiCaprio denken. James Camerons „Titanic“ ist ein gutes Beispiel für den Wandel des Begriffs Bildung. Denn es gibt doch noch immer Menschen, die bei dem Wort „Titanic“ nie an Leonardo DiCaprio denken müssen und nicht mal wissen, wer Celine Dion ist. Oder James Cameron.
Der Prototyp dieses Interessenten ist der Lehrer, woran man erkennt, dass Lehrer und Schüler Menschen sind, die sehr verschiedene Dinge wissen. Wo dieser Zustand epidemisch wird, spricht man von einer Bildungskrise. Die haben wir jetzt, sagen viele. Natürlich ließe sich die Sache auch anders rum betrachten. Man könnte den Lehrern zum Beispiel erklären, wer James Cameron ist. Na, der Regisseur von „Terminator II“!
Allein der Titel! „Terminator II“ scheint unbedingt in die Kategorie der Untergangsfilme zu gehören, aber das stimmt nicht. Er ist in Wirklichkeit ein Aufgangsfilm. Das haben gerade Peter Sloterdijk und die Süddeutsche Zeitung herausgefunden. Sloterdijk hielt schon 1993 einen Vortrag über die „Metaphysik des Action-Kinos“. „Terminator II“ ist also ab sofort Hochkultur. Ja, mehr noch, ein zeitdiagnostisches Instrument. Die Süddeutsche war auf einer Tagung, wo Sloterdijk, der Franzose Houellebecq („Elementarteilchen“) und noch ein paar andere darüber diskutierten, was aus dem Menschen so alles werden kann. Dabei kam raus, schrieb die Süddeutsche, dass der Mensch ziemlich veraltet ist. Innovationstechnisch gesehen. Und das lerne man eben an „Terminator II“.
Genau in der Szene, wo der Messias John Connor (Edward Furlong) versucht, dem Cyborg Arnold Schwarzenegger menschliche Reaktionen nahezubringen. Ärger, Wut, Jähzorn, alles solche Sachen. Schwarzenegger aber reagiert jedesmal mit überaus gewinnender Liebenswürdigkeit. Was ist das Geheimnis solch jesuanischer Mitmenschlichkeit? Dieser Homunculus hier hatte nicht die Bibel gelesen, nein, er war nur vollkommen emotional digitalisiert. Connors Mutter sieht dieses rein körperlich durchaus beeindruckende Exemplar der revolutionierten Gattung Homo sapiens und ist fasziniert. Denn mit naturbelassenen Männern hat sie eher trübe Erfahrungen gemacht. Auch die Süddeutsche bemerkt das Zukunftsfähige der Szene und findet dafür (nicht ohne Blick auf Sloterdijk) den Begriff „Posthumanität“. Und wir brauchten keine Angst davor haben, denn „auch die Posthumanität ist eine Humanität – vielleicht sogar eine bessere. Nach Lage der Dinge ist sie etwas Unausbleibliches, aus dem irgendwann das Beste zu machen ist.“ Und sie komme nicht nur technisch, sondern eben auch geistig-moralisch.
So spät ist es also schon. Aber ahnen wir nicht am Horizont den Ausweg aus der Bildungskrise? Wenn die Welt wirklich zum Action-Film wird und Moral programmierbar, dann stellt sich doch die Frage, wer bereits jetzt das zukunftsfähigere Wissen hat, Lehrer oder Schüler?
Immerhin, nicht für alle ist es schon so spät. Es gibt zwar Action-Filmer und Gentechniker, aber es gibt auch die Evolutionsbiologen. Evolutionsbiologen erkennt man daran, dass es für sie jederzeit noch ungemein früh ist. Die einen sind schon über den Menschen hinaus, die anderen kommen per definitionem ihres Fachs nie bei ihm an. Denn Evolutionsbiologen denken grundsätzlich von der Savanne her. Und sie können Connors Mutter aus „Terminator II“ ihr Unbehagen am herkömmlichen Mann genau erklären.
Der Spiegel hat gerade eine Titelgeschichte darüber gemacht. Über Sex und Evolution. Evolutionsbiologen sind Wissenschaftler, für die alles ganz natürlich ist. Vergewaltigung zum Beispiel. Denn der Mann folgt seinem Fortpflanzungstrieb. Und im Tierreich gibt es auch Vergewaltiger. Vergewaltiger sind Männchen – Menschen, Blattläuse oder Zebrafinken –, die keine Chance bei den Weibchen haben, aber trotzdem unter allen Umständen ihre Gene in die nächste Generation bringen müssen.
Natürlich konnten die Naturgeschichtler der Vergewaltigung nicht unbedingt erklären, warum die Evolution überhaupt den gewagten Schritt vom Zebrafinken zum Menschen unternommen hat. Aber der amerikanische Psychologe Geoffrey Miller, 34, weiß das jetzt. Das Geheimnis des Bewusstseins liege – im Sex. „Die vorherrschenden Aspekte unseres Geistes sind zum großen Teil durch die Brautwerbung unserer Urahnen evolviert“, sagt Miller. Ein paar steinzeitliche Hominidenfrauen hätten einfallsreiche Männchen plötzlich viel attraktiver gefunden als die allzu äffischen. So sei im Laufe der Zeit eine ungemein kreative Horde entstanden. Auch die Frauen, obwohl nur passiv Wählende, seien dabei nicht ganz dumm geblieben, denn immerhin mussten sie die Werbungen der Männchen ja verstehen. Und so – ungefähr – sei das noch heute.
Der Spiegel-Autor schrieb seinen Bericht mit merklich unruhigem Gewissen, in jedem Augenblick um Distanzierung bemüht. Aber ist die These „Bewusstsein durch Sex“ eigentlich so übel? Der Gedanke, es könnte so ein gewisses luxurierendes, frei spielendes Moment dabei gewesen sein bei der Entstehung des Geistes, ist doch recht schön. Und wer wollte die Verwurzelung des Schöpferischen im Geschlechtlichen schon abschneiden? Nur ist die Natur dieses Zusammenhanges wohl zuletzt doch nicht von der Savanne her zu denken und wäre von daher unbedingt mit dem überlieferten Gedanken gesteigerter Kultur als sublimiertem Trieb zusammenzubringen.
Wirklich interessant aber ist etwas anderes. Die Unfähigkeit unseres wissenschaftlich-objektivierenden und isolierenden Blicks, menschliche Nähefelder zu verstehen. Das wird im Falle der Evolutionsbiologen lediglich kenntlich, weil sie offen die Grenzen zum Absurden streifen. Insofern denken Gentechniker und Evolutionsbiologen gar nicht so verschieden, obwohl sie an verschiedenen Enden des humanen Raums arbeiten. Die einen vor seinen Toren, die anderen an seinem Ausgang. Die einen erklären alles mit der Natur und dem Sexus, die anderen wollen die ingeniöse Unabhängigkeitserklärung von Natur und Sexus. Gentechnologie wird vor allem die Entmachtung der Sexualität als Fortpflanzungsmittel bedeuten. Kinder werden nicht mehr gezeugt werden, sie werden gemacht werden. Ein Klon hat nicht mehr Mutter und Vater. Er wäre das ideale Kind in einer Gesellschaft Alleinerziehender. Aber was heißt Erziehung? Kann man sich selbst erziehen, die eigene Kopie? Vielleicht wäre erst das die Bildungskrise in Permanenz.
Und doch ahnen wir schon jetzt das Ende dessen, was man humanistische Bildung nannte. – Vielleicht ist sie ja wirklich nur ein Zwischenraum wie das Humanum selbst. Trotzdem sollte man etwas zögerlicher sein, die Ära der „Posthumanität“ auszurufen. Posthumanität, das wäre wohl dann, wenn sich keiner mehr erinnert an die platonische Trias des Wahren, des Guten und des Schönen und man sie stattdessen einfach züchten kann. Die Wahren, die Guten und die Schönen. Die platonische Liebe kam auch schon ohne Natur, ohne den Sexus aus. Und davor sollen wir uns nicht fürchten?
Hinweise:Vergewaltiger sind Männchen – Menschen, Blattläuse oder ZebrafinkenEin Klon wäre das ideale Kind in einer Gesellschaft Alleinerziehender
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