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Gott ist ein Fotograf

Und Leni besorgte den 36er-Remix seiner Aufnahmen: Die Berliner Galerie „Camera Work“ zeigt Olympiabilder von Leni Riefenstahl. Der Skandal, den es noch vor drei Jahren anlässlich einer Hamburger Galerieausstellung gab, bleibt diesmal aus. Inzwischen ist Riefenstahl Pop

von CAROLA SCHMITT

Noch vor drei Jahren war es ein Skandal, als ein Hamburger Galerist Fotografien von Leni Riefenstahl ausstellte. Heute dagegen bleibt alles ruhig, wenn die in einem edlen Berliner Hinterhof gelegene Fotogalerie „Camera Work“ das olympische Werk der alten Dame ausstellt. Das kann nicht nur daran liegen, dass sich die Galerie in Charlottenburg befindet, dem hauptstädtischen Bezirk, der seine einstmals führende Rolle als Galerienstandort längst eingebüßt hat. Was die Kunst betrifft: Hier werden nur noch die Klassiker gehandelt. Kontroverse Ausstellungen erwartet hier niemand mehr.

Die neue Gelassenheit gegenüber der 1902 geborenen Fotografin und Filmemacherin mag zum Teil tatsächlich an ihrem Alter liegen. Wer beinahe ein ganzes Jahrhundert durchschritten hat, dem die alten Entgleisungen unter die Nase zu reiben, ist man müde, zumal bei Leni Riefenstahl die Hoffnung auf späte Einsicht vergebens scheint. Das war zuletzt bei ihrem Auftritt in Potsdam zu erfahren, wo sie vor etwas über einem Jahr im dortigen Filmmuseum ihre erste große Werkschau in Deutschland ausgerichtet bekam.

Mit Taschenbüchern im Pop angekommen

Mit dieser Ausstellung war Leni zwar nicht eigentlich rehabilitiert, doch Werk und Leben immerhin ein kleines Stück weit aufgearbeitet; und das schien das Signal zu sein, die Filmemacherin nun schlicht als Klassikerin der faschistischen Moderne präsentieren zu dürfen. Als solche hatte sie zuvor schon an einen ganz anderen Kontext angedockt; denn spätestens seit Rammsteins Stripped-Video sind Riefenstahls Bilder in einer stets präsenten Popcollage wiederzufinden. Den Popappeal zu vermarkten, hat sich daher auch der Benedikt Taschen Verlag vorgenommen. Er wirft in diesem Jahr ein „Leni Riefenstahl. Blanko-Buch“ für 9,95 Mark und einen „Leni Riefenstahl 2001. Kalender“ für 29,95 Mark auf den Markt.

In Charlottenburg geht es selbstredend teurer, also gediegener zu. Auf zwei Etagen werden dem Besucher gut 40 Vintage- und Modernprints von Fotografien der Olympischen Sommerspielen 1936 präsentiert. Die Bilder sind bekannt und stammen ausschließlich aus dem 1937 erschienenem Fotoband „Schönheit im olympischen Kampf“. Texttafeln oder Anmerkungen scheinen nach Meinung der Berliner Galerie nicht mehr notwendig zu sein. Und auch der Katalog zur Ausstellung präsentiert sich äußerst wortkarg. Einzig ein kurzes, aber feierliches Vorwort wird dem Betrachter mit auf den Weg gegeben. Dieses führt direkt in den Mythos Riefenstahl ein. „Leni Riefenstahl“, so schreibt dort ein gewisser Michael Kruger, „hat sich für ihre Bilder auf den verwaisten Thron Gottes gesetzt.“ Ist Gott ein Fotograf? Und „Schönheit im Olympischen Kampf“ der 36er-Riefenstahl-Remix?

Wenn das so sein sollte, ist Gott in jenem Sommer nicht viel eingefallen – zum modernen Sport schon gar nicht. Und so gibt es einerseits die aus der Froschperspektive fotografierten Körper, die bewegungslos in einem grenzenlosen Himmel festgefrorenen Turmspringer; Athleten, deren Körperartistik just in diesem Moment unsichtbar gemacht ist. Zum anderen aber die an Caspar David Friedrichs Gemälde erinnernden Tempelruinen Athens und Delphis, archaische Landschaften, in den sich dann nackte Gymnastinnen und fast nackte Diskus- und Speerwerfer tummeln. Mit dem sportlichen Ereignis Olympische Spiele haben diese Bilder nicht mehr viel zu tun.

Nun hat die Berliner Edelgalerie im Laufe der von ihr organisierten Ausstellungen stets offen gelegt, dass hier leider ein deutlich fetischistisches Verhältnis zur Fotografie gepflegt wird. Daher wundert es nicht, wenn die mythisch überhöhte Wirklichkeit von Riefenstahls Aufnahmen unübersehbar bleibt, obwohl die Bildanordnung, die man bei „Camera Work“ gewählt hat, die Erzählstruktur der Olympiafilme aufbricht und atomisiert. Riefenstahls Darstellungen verwischen nicht nur die Grenzen zwischen Fiktion und Tatsache, sondern lösen letztere in ihren Bildkompositionen nahezu auf.

Geburtshilfe für einen neuen Mythos

Ob der Mythos und Körperkult, den die Filmemacherin den Olympischen Spielen 1936 auf diese Weise einzuschreiben versuchte, mit der nationalsozialistischen Rasseideologie identisch sei, darüber ist viel gestritten worden. In jedem Fall eröffnete ihr aber der Nationalsozialismus genügend Möglichkeiten, ihrem Unbehagen an einer funktionalistischen Moderne entschieden Ausdruck zu verleihen. Das Dritte Reich filmisch im Jenseits zu verankern, hat sie sich jedenfalls auch bei Olympia bemüht. Denn wenn etwa dem versteinerten Diskuswerfer von Myron mittels raffinierter Überblendetechniken neues Leben eingehaucht wird, so ist dies offensichtlich nicht nur Ausdruck einer naiven Idee von Schönheit. Diese (Über-) Blendung will bewusste Geburtshilfe für einen neuen Mythos sein, und der ist nicht der des modernen Sports. Da helfen auch die gleich im ersten Raum gezeigten zwei Fotografien des schwarzen Olympialieblings Jesse Owens nicht. Die Bilder des Ausnahmeläufers sollen auch nur die rassische Unvereingenommenheit der Fotografin belegen.

Die Riefenstahl gegen ihre Vergangenheit in Schutz zu nehmen, dafür steht die Auswahl, die die Galerie zusammen mit der Fotografin und Filmemacherin getroffen hat. Denn die Kollektion der gezeigten Aufnahmen ist lückenhaft. Die zweifellos interessanteren Fotografien als die Schnappschüsse der vielen Turmspringer, Schwimmer oder Speerwerfer sind die Motive, die bei „Camera Work“ nicht gezeigt werden. Bilder von dem über allem thronenden Super-Zuschauer Hitler etwa wird der Besucher vergeblich suchen.

Bis zum 24. 6., Galerie „Camera Work“, Berlin, Kantstraße 149. Katalog im Privatdruck 98 DM

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