piwik no script img

Ein letzter Tag im kalten Asyl

■ Neu im Kino: „Otomo“ von Frieder Schlaich erzählt die Geschichte eines Asylsuchenden, der zwei Polizisten erstach

Es war einer von diesen spektakulären Fällen, an denen sich die Boulevardpresse wochenlang mit großen Schlagzeilen weidete und die an den Stammtischen immer wieder als Bestätigung der schlimmsten Vorurteile angeführt werden. 1989 erstach in Stuttgart ein abgelehnter Asylsuchender aus Westafrika zwei Polizisten, die ihn festnehmen wollten. Er verletzte zudem drei ihrer Kollegen und wurde schließlich erschossen. Bis zuletzt war es unmöglich, seine Identität zweifelsfrei zu klären, aber das war nicht einmal das größte Problem, mit dem der Stuttgarter Filmemacher Frieder Schlaich („Halbmond“) zu kämpfen hatte, als er sich entschied, über diese Tragödie einen Film zu machen. Die Polizei erließ damals ein Rechercheverbot, und so konnte Schlaich den Film erst 1999, also nach zehn Jahren, fertigstellen.

In dieser Zeit entwickelte sich das Projekt von der zuerst geplanten dokumentarischen Rekonstruktion zu einem viel ehrgeizigeren und verzweigteren Film, denn Regisseur Schlaich konzentrierte sich immer mehr auf den Afrikaner (nicht umsonst ist sein Name der Titel des Films) und machte aus der Not der wenigen Informationen über ihn eine Tugend, indem er jetzt einen (letzten) Tag im Leben eines getriebenen Afrikaners in Deutschland zeigt.

Wie viel da recherchiert und wie viel erfunden ist, wird schnell nebensächlich, denn es geht Schlaich in „Otomo“ eher um Stimmungen als um Fakten. Frederic Otomo läuft hier durch eine kalte, unwirtliche Städtelandschaft. Er wird von fast allen Deutschen mit dem alltäglichen Rassismus malträtiert, wird in der U-Bahn von Kontrolleuren fälschlicherweise des Schwarzfahrens beschuldigt, reagiert darauf aggressiv, flieht und löst so die Kette von Geschehnissen aus, die schließlich in der Bluttat enden. Der Himmel ist grau, Farben und Licht sehr zurückgenommen, so dass schon von den Bildern her eine abweisende, kalte Atmosphäre entsteht.

Aber in der lebt neben dem hier gestrandeten Otomo auch der junge Polizist Heinz, von dem Schlaich uns in einer Parallelhandlung erzählt. Der Film wechselt so regelmäßig die Perspektive, wir sehen Deutschland mit Otomos Augen und Otomo mit den Augen des deutschen Polizisten. Zudem lassen sich mit diesem dramaturgischen Kniff sehr effektiv Spannungsbögen aufbauen: Wir sehen, wie knapp die Polizisten auf ihrer Jagd Otomo einige Male verpassen, und wir spüren auch, wie aussichtlos seine Flucht ist und wie eng sich das Netz um ihn zusammenzieht.

All das hat Schlaich sehr eindrucksvoll inszeniert, und auch mit dem Casting hatte er eine glückliche Hand. In der Titelrolle gelingt es dem internationalen Filmschauspieler Isaac de Bankolé („Night on Earth“, „Heart of Darkness“) einerseits, uns mit seiner Intensität zu fesseln, andererseits offenbart er sich aber der Kamera nie ganz, so dass er sein Geheimnis bis zum Schluss bewahrt. Hanno Friedrichs hat es als sein Gegenpol in der Parallelhandlung schwer, aber er ist als der Polizist Heinz immer glaubwürdig und komplex gezeichnet.

Fast wie ein Zitat auf den Jungen Deutschen Film der 70er Jahre, dem Schlaich hier eindeutig nacheifert, wirkt dagegen der Auftritt von Eva Matthes. Damals war sie so jung wie die Filme, heute spielt sie schon eine Oma; diese Ironie konnte sich Schlaich wohl nicht verkneifen.

Die Schauspielerin Eva Matthes verkörpert den einzigen deutschen Menschen, der sich wirklich mit Otomo auseinandersetzt, und bei den Szenen der beiden miteinander verwandelt sich „Otomo“ plötzlich in einen behutsam inszenierten Schauspielerfilm. Hier sagt Otomo auch den einen herzzerreißenden Satz, der genau auf den Punkt bringt, wie extrem dieser Mensch aus der Welt geworfen ist: Seit acht Jahren lebe er in Deutschland, aber er „war noch nie in der Wohnung eines Deutschen“.

Wilfried Hippen

„Otomo“ ist am heutigen Donnerstag, morgen und am Montag um 18.30 Uhr sowie am Dienstag um 20.30 Uhr im Kino 46 zu sehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen