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Kopf hoch, Soldaten

Straffer, schneller, weiter: Die Bundeswehr wird auf schlagkräftige Krisenintervention getrimmt

von BETTINA GAUS

Die Ratschläge der Wehrstrukturkommission wandern in den Papierkorb. Das stand bereits vor der gestrigen Presekonferenz in Berlin fest, auf der ihr Vorsitzender, der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker, die Empfehlungen für eine Reform der Bundeswehr vorstellte. Allzu weit gehen die Vorschläge dem SPD-Verteidigungsminister und seiner Partei. Dennoch hat die Kommission ihre eigentliche Aufgabe in vorbildlicher Weise erfüllt: Sie hat jede ausführliche Diskussion über die künftigen Aufgaben und den Zuschnitt der Bundeswehr verhindert.

Erst einmal sollten die Sachverständigen in Ruhe ihre Arbeit machen können, mahnte Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping, als er vor rund einem Jahr die Kommission ins Leben rief. Danach könne man reden. Leider geht das aber jetzt auch nicht, denn nun drängt der Terminplan. Spätestens am 14. Juni sollen die Eckdaten der Bundeswehrreform vom Kabinett verabschiedet werden. Da bleibt für langwierige grundsätzliche Erörterungen keine Zeit.

Ohnehin hatte sich in den letzten Tagen die öffentliche Debatte über Sicherheitspolitik fast ausschließlich auf das Thema verkürzt, ob denn nun an der Wehrpflicht festgehalten werden solle oder nicht. Zunächst sah es sogar so aus, als ob in dieser Frage ein ernsthafter Koalitionskonflikt drohe. Bündnis 90/Die Grünen wollen im Unterschied zur SPD die Wehrpflicht abschaffen. Nun aber scheint eine Einigung in Sicht: Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, erklärte gestern, sie sei sowieso „sicher, dass die Wehrpflicht ein Auslaufmodell ist“. Daher sehe sie in dieser Frage keinen neuen Konfliktstoff für die Koalition.

Die Aufgabe: Kriseneinsätze

Dessen ungeachtet bezeugten in den letzten Tagen vor allem Wehrdienstgegner große Sympathie für das Papier der Weizsäcker-Kommision. Von gegenwärtig rund 320.000 auf nur noch 240.000 Soldaten möchte die Kommission den Umfang der Bundeswehr verringern. Darunter sollen nur noch 30.000 Wehrpflichtige sein – weniger als ein Viertel der jungen Männer, die gegenwärtig den Grundwehrdienst ableisten. Von einer allgemeinen Wehrpflicht könnte bei diesen Zahlen keine Rede mehr sein. In den Augen von Gegnern staatlicher Zwangsdienste und auch vieler derjenigen, die eine Militarisierung der Außenpolitik befürchten, scheinen die Empfehlungen der Strukturkommission eine Gewähr dafür zu bieten, dass militärische Abenteuer für die Zukunft ausgeschlossen sind.

In diese Sichtweise wird allerdings das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Bevor über eine Wehrpflichtigenarmee oder ein Berufsheer entschieden wird, muss geklärt sein, worin denn eigentlich die Aufgabe der Bundeswehr besteht. Die Weizsäcker-Kommission beurteilt diese Frage eindeutig: Sie rät der Bundeswehr eine „Orientierung auf Kriseneinsätze“. Die Gefahr eines Atomkrieges und die eines „groß angelegten konventionellen Angriffs auf unser Territorium“ sei „auf absehbare Zeit“ nicht zu erkennen. Auf zu neuen Ufern: „Die Kommission empfiehlt, Fähigkeiten, Strukturen und Umfänge der Bundeswehr primär aus der Eignung zur Krisenintervention abzuleiten.“

Die Sachverständigen kleckern nicht, sie klotzen: „Die Kommission empfiehlt, die deutschen Streitkräfte auf schnelle Reaktion in zwei gleichzeitigen Krisen hin auszurichten.“ Die Bundeswehr von heute sei „zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmende unmodern“. Deshalb möchte das Gremium die Stärke der Einsatzkräfte für Kriseninterventionen von derzeit 60.000 auf etwa 140.000 Soldaten erhöht sehen.

Es kommt eben immer darauf an, welche Zahlen man einer Analyse zugrunde legt. Sobald die von der Weizsäcker-Kommission empfohlene Truppenstärke um die Wehrpflichtigen bereinigt ist, wird die Richtung deutlich, in die es gehen soll: Folgte die Regierung deren Empfehlungen, dann verfügte die Bundeswehr künftig nicht etwa über weniger, sondern über 20.000 Berufssoldaten mehr als bisher. Darunter sollen auch mehr Frauen sein, denen einem Grundsatzurteil zufolge der freiwillige Zugang zu allen Teilen der Streitkräfte geöffnet werden muss.

Zusätzliche Berufssoldaten werden wohl auch gebraucht – jedenfalls dann, wenn man die sicherheitspolitische Definition der Weizsäcker-Kommission zugrunde legt, die weitgehend auch den neuen, selbst definierten Nato-Aufgaben entspricht. Die Kommission weist darauf hin, dass eine funktionierende Wirtschaft in Deutschland auf die Einfuhr vieler Rohstoffe angewiesen ist. Politische Krisen könnten allerdings vor allem die Lieferung von Erdöl gefährden. Die Schlussfolgerung der Experten: „Von innerstaatlichen Auseinandersetzungen wie von zwischenstaatlichen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten werden die Sicherheitsinteressen Europas unmittelbar berührt.“

Rechtsgrundlage unklar

Die völkerrechtliche Grundlage von Militärinterventionen bleibt merkwürdig unklar. Zwar betont die Kommission, es gehörte „zu unseren wichtigsten Interessen“, die Vereinten Nationen zu fördern und zu stärken, und sie fordert auch: „Es muss bei der erklärten Politik der Bundesregierung bleiben, das Monopol der Vereinten Nationen zur Legitimation einer Friedenserzwingung mit Waffengewalt anzuerkennen.“ An anderer Stelle des Berichts aber heißt es: „Nach dem in Wandlung befindlichen, wiewohl noch umstrittenen Rechtsverständnis können Völkermord und ethnische Säuberungen Eingriffe in die Souveränität eines Staates und Verletzungen seiner territorialen Unversehrtheit rechtfertigen.“ In diesem Zusammenhang ist von der UNO nicht die Rede. Soll also ein Einsatz wie der im Kosovo von der Ausnahme zur Regel werden?

Die Kommission hat sich jedenfalls viele Gedanken darüber gemacht, wie Militäreinsätze künftig konkret aussehen könnten. Sie erörtert in ihrem Bericht mögliche Szenarien wie etwa die „frühzeitige Verlegung von Luft-und Seestreitkräften“, mit denen das Bündnis Entschlossenheit demonstrieren könne, ohne – zunächst – die territoriale Integrität eines Staates zu verletzen. Für möglich gehalten wird ausdrücklich auch die „präventive Stationierung“ von Landstreitkräften in einer Krisenregion. Denn: „Landstreitkräfte wirken durch Präsenz vor Ort abschreckend und stabiliserend.“ Und: „Militärische Macht, von außen in eine Krisenregion eingebracht, kann helfen, Konflikte im Frühstadium zu ersticken oder eine Ausweitung zu verhindern.“ Auf konkrete Beispiele für diese erstaunliche Überzeugung verzichtet die Kommission.

Immer mehr Militäreinsätze sollen also weltweit immer mehr Frieden schaffen – auch, damit jede Bundesregierung die „grundlegende Aufgabe“ erfüllen kann, „Demokratie zu fördern und humanitären Interessen zum Durchbruch zu verhelfen“. Bedauerlicherweise wird das allerdings auch in der neuen Zeit nicht überall möglich sein. „Die Europäer werden vermutlich öfter Nein sagen müssen, als sie Ja sagen können. Interventionsrecht heißt nicht Interventionspflicht.“ Wohl nicht zuletzt deshalb möchte die Wehrstrukturkommission die klassische Außenpolitik auch nicht gänzlich abschaffen: „Militärisches Eingreifen wird jedoch nur eine Option im Fächer der politischen Gesamtstrategie sein.“ Beruhigend.

Alternativmodell der SPD

Verglichen mit den Empfehlungen der Wehrstrukturkommission liest sich ein Papier, das am 18. Mai von der für Sicherheitsfragen zuständigen Arbeitsgruppe der SPD-Fraktion einstimmig verabschiedet worden ist, fast wie ein Aufruf zur Entmilitarisierung der Politik. „Vorsorge für die Landesverteidigung bleibt nach unserer Verfassung die Legitimation für die Streitkräfte“, heißt es in dem vom Wehrexperten Peter Zumkley schon im Februar verfassten Entwurf, der sich dem Vernehmen nach weitgehend mit den Vorstellungen von Scharping deckt. Mit einer Personalstärke von 280.000, darunter 80.000 Wehrpflichtige, würde die Bundeswehr ebenfalls verkleinert, aber in geringerem Umfang als nach den Vorstellungen der Weizsäcker-Kommission.

Noch wichtiger dürfte sein, dass in dem SPD-Papier ausdrücklich auf die Unterscheidung zwischen Krisenreaktionskräften und Hauptverteidigungskräften verzichtet wird: Die sei „überholt“. Die Einheiten für die Bündnisverteidigung müssten auch zur Mitwirkung „bei internationalen Friedensmissionen befähigt sein“. Soll heißen: Die Bundeswehr kann sich auch künftig an militärischen Interventionen beteiligen – sie wird jedoch in ihrer Aufgabenstellung nicht ausdrücklich darauf festgelegt. Das SPD-Modell, das sich wohl durchsetzen wird, lässt mehr Spielraum für politische Interpretation als die Empfehlungen der Strukturkomission. So lange die Frage politisch jedoch nicht offen diskutiert wird, bleibt rätselhaft, ob und wie dieser Spielraum genutzt werden soll.

Möglicherweise wird auch der jetzt angepeilte Umbau der Bundeswehr bald von der Entwicklung überholt. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Wehrpflicht tatsächlich für nicht länger verfassungsgemäß erklären – wie von einigen Experten vermutet –, dann sind alle Reformen Makulatur. Und Rudolf Scharping wird sich eine neue Begründung dafür einfallen lassen müssen, weshalb eine Grundsatzdiskussion über die künftigen Aufgaben der deutschen Streitkräfte nicht stattfinden sollte.

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