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Rückzug nach zwei Jahrzehnten

Schrittweise sollte die „Sicherheitszone“ im Südlibanon übergeben werden. Doch die Hisbullah hat Israel einen Strich durch die Rechnung gemacht

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Es dauerte keine 48 Stunden, da hatte sich die Südlibanesische Armee fast komplett aufgelöst: Mindestens 1.600 der alliierten Soldaten und ihre Familien suchten Asyl in Israel, Hunderte stellten sich den libanesischen Behörden oder liefen zu einer der schiitischen Widerstandsbewegungen über. Nur noch ein Bruchteil der mit Israel kollaborierenden Miliz ist noch im Einsatz. Libanesische Zivilisten strömen in ihre Heimatdörfer zurück, die sie mit Beginn der israelischen Besatzung vor rund 20 Jahren verlassen hatten.

Festtagsstimmung herrschte in einigen Dörfern, die gestern von den Besatzern und ihren Verbündeten aufgegeben wurden. Rund zwei Drittel der so genannten Sicherheitszone befinde sich bereits unter Kontrolle der schiitischen Hisbullah-Guerilla, meldete der israelische Hörfunk. Ein Schusswechsel, offenbar ohne Verletzte, fand am berüchtigten Gefängnis el-Chiam, ganz im Süden der „Sicherheitszone“, statt. Vor dem Gefängnis von Chiam hatten mehr als 100 Dorfbewohner gewartet bis zum Abzug der Wachen, ehe sie die etwa 130 libanesischen Insassen des für seine schlimmen Haftbedingungen und Folter berüchtigten Gefängnisses befreiten.

Die Hisbullah hisst ihre Flaggen

Den überraschenden Entwicklungen entsprechend, entschied Israels Premierminister Ehud Barak, den Abzug dramatisch zu beschleunigen. Anstelle des ursprünglichen Stichtages 7. Juli 2000, an dem „der letzte Israeli libanesischen Boden verlässt“, ist jetzt von „nur noch wenigen Tagen“ die Rede. Der geplanten schrittweisen Übergabe der militärischen Stützpunkte zunächst an die Verbündeten der SLA und anschließend an die internationalen Truppen der UNO machten die schiitischen Zivilisten und die Hisbullah einen Strich durch die Rechnung. Nur wenige Kilometer hinter der Grenze hissten die Guerillas ihre Flaggen auf den militärischen Posten, die sie kampflos übernehmen konnten. Demgegenüber hatte die israelische Armee versucht, den Verbündeten SLA-Leuten mit Panzern eine letztendlich überflüssige Hilfestellung zu leisten. Israelische Soldaten hatten außerdem mit Gewehrschüssen von der Grenze aus die zurückkehrenden libanesischen Zivilisten aufhalten wollen. Aus Sorge vor Vergeltungsaktionen suchte die Bevölkerung auf israelischer Seite ab gestern Nachmittag wieder Unterschlupf in den Bunkern.

Für Israel ist nicht nur das unerwartete Näherrücken der Hisbullah auf knapp drei Kilometer an die israelische Grenze problematisch. Die Guerillas übernahmen in den fluchtartig verlassenen Stützpunkten auch zusätzlich Waffen und Munition. Der überhastete Truppenabzug findet statt, ohne dass es eine klare Regelung über den Einsatz von UNO-Truppen gibt. Hinzu kommt, dass die Abzugsvorbereitungen auf israelischer Seite, darunter die Errichtung eines Zauns und militärischer Stützpunkte entlang der internationalen Grenze noch lange nicht abgeschlossen ist. Auch liefen noch die Beratungen zwischen der israelischen Armee und den SLA-Leuten. Die Aufnahme der asylsuchenden Milizen musste improvisiert werden. Fast alle Flüchtlinge kamen zunächst in einer eilig errichteten Zeltstadt am See Genezareth unter. Die Soldaten und ihre Familien überquerten die Grenze an vier verschiedenen Übergängen, die im Gegensatz zum Vortag den ganzen Tag über geöffnet blieben. Die übermüdeten Südlibanesen fuhren in Bussen weiter in Richtung Tiberias. In Kirjat Schmona, wo viele Angehörige von SLA-Milizen arbeiteten, fanden sich rund 200 israelische Familien bereit, eine der libanesischen Familien vorübergehend bei sich aufzunehmen.

Raus aus dem Sumpf

Trotz des derzeitigen Chaos in der fast befreiten Besatzungszone zeigte sich Ehud Barak zuversichtlich. „Wenn sich der Nebel auflöst, wird sich zeigen, dass wir die richtigen Schritte entschieden haben, indem wir unsere Söhne nach Hause holten“, meinte der Premier. Unter den israelischen Soldaten, die in den vergangenen Wochen im Südlibanon dienten, herrscht eine eher gedämpfte Freude. Einerseits ist die Stimmung angesichts des triumphalen Einzugs der Hisbullah in die schiitischen Dörfer gedrückt. Zum anderen sind die Soldaten erleichtert darüber, „nie wieder in den libanesischen Sumpf“ zurückkehren zu müssen.

Politiker aus der Regierungskoaliton hoffen unterdessen auf eine baldige Stabilisierung der Situation. Bis zum Eintreffen der internationalen Sicherheitstruppen bleibt die Lage aber unverändert angespannt. Stabschef Schaul Mofas warnte den Gegner vor Attacken: „Wenn unsere Soldaten oder Zivilisten verletzt werden, greifen wir die syrische und libanesische Infrastruktur an.“ Umgekehrt knüpfte die Hisbullah einen Waffenstillstand an die Bedingung, den gesamten Libanon zu befreien. Umstritten ist, ob sich die israelischen Truppen bis zur Grenze von 1923, als die britischen und französischen Mandatsgebiete geteilt wurden, zurückziehen sollen oder zu dem Verlauf von 1978, der ersten Besatzung. Die beiden Grenzverläufen unterscheiden sich in zwei kleinen Landstücken, auf deren Rückgabe die Hisbullah beharrt. Scheich Hassan Nasrallah, Chef der schiitischen Partei, forderte die Entlassung aller libanesischen Inhaftierten, darunter Scheich Abd-el Karim Obeid und Mustafa Dirani. Beide werden als Geiseln für einen israelischen Piloten festgehalten.

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