: Knast für unliebsame Gäste
Neonlicht den ganzen Tag und vitaminlose Industriekost in einem Hochsicherheitstrakt. Die Zustände im Köpenicker Abschiebegefängnis beschreibt der migrationspolitische Sprecher der Grünen
von HARTWIG BERGER
Südlich der Altstadt Köpenick, zwischen Industriebrache und auslaufender Vorstadt, steht die Betonfestung, die im Amtsdeutsch „Abschiebegewahrsam“ heißt. 259 Männer werden hier zurzeit „verwahrt“, für doppelt so viele ist Raum.
Zu Zeiten der DDR waren die zwei ineinander geschobenen Sechsgeschosser ein Frauengefängnis, das demokratische Berlin hat die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Die acht Meter hohe Betonmauer wurde mit Nato-Stacheldraht erhöht und um einen vorgelagerten Gitterzaun gleicher Höhe ergänzt. Ein Hochsicherheitstrakt für Menschen, denen nicht mehr als die Weigerung vorgeworfen wird, aus freien Stücken dieses gastliche Land zu verlassen.
Die Häftlinge genießen das Privileg des „offenen Vollzugs“: In den einzelnen Stationen dürfen sie sich auch auf dem Flur und in einem Gemeinschaftsraum aufhalten. Einmal pro Tag dürfen sie den Käfig für eine Stunde und zu angeordneten Zeiten verlassen. Der Hofgang findet in zwei hoch umgitterten Käfigen von maximal 500 Quadratmetern und auf betoniertem Boden statt. Immerhin gibt es dort zwei Basketballkörbe, auch Fußball könnte gespielt werden. Allerdings verfügt die Anstalt zurzeit über keine Bälle.
Wer zu viel rebelliert, wird in eine Einzelzelle gesperrt, ansonsten bietet die Zwangsunterkunft 2- bis 8-Bett-Zimmer. Die Räume sind maximal 25 Meter groß und mit Doppelstockbetten belegt. An jedem Bett ist eine winzige Ablage befestigt, die für ein Buch reicht. Kleidung muss über die Betten gehängt werden, es gibt keinen Wandhaken und natürlich keinen Schrank. An Mobiliar finden sich noch ein Tisch und zwei Bänke. Die „Verwahrten“ können das fest vergitterte Fenster nicht erreichen. Einen Meter davor steht ein weiteres Gitter, teils mit dichten Maschen, so dass nichts durchgesteckt werden kann. So braucht man selbst an hellen Tagen künstliche Beleuchtung, die zwei Neonröhren in Deckenhöhe bieten. Es gibt ein Kartentelefon pro Station.
Aus „Sicherheitsgründen“ dürfen Bilder und Ähnliches nicht an die Wände gehängt werden. So sind diese geschmückt mit Sprüchen aus vielen Sprachen und Schriften, Karikaturen, Figuren und religiösen Zeichnungen. „Hier töten sie langsam“, kann ich entziffern.
Die Verpflegung besteht aus aufwendig verpackter, liebloser Industriekost. Die Häftlinge können mittags zwischen Fleisch, vegetarischer Kost und einer sogenannten „Diät“ wählen. Morgens werden pappige Brötchen mit etwas Butter und Marmelade geboten. Das Gemüse ist spärlich und verkocht. Obst gibt es nicht. Mangelkrankheiten sind bei längerem Aufenthalt vorprogrammiert. Wer über Sozialhilfe Bargeld bekommt, kann Obst, Getränke und Zigaretten von einem rollenden Laden beziehen.
Am 10. Mai besuchte ich fünf Häftlinge, die durchschnittlich seit drei Wochen im Hungerstreik waren. Es handelt sich um zwei Ukrainer, einen Russen, einen Algerier und einen sehr jungen Gabuner. Alle kamen hinter Gitter, weil ihnen illegaler Aufenthalt in Berlin vorgeworfen wird und weil sie keine gültigen Personaldokumente vorweisen können. Drei weitere Hungernde treffe ich nicht mehr an. Sie wurden tags zuvor freigelassen, nachdem sie sich in die Pulsadern geschnitten hatten. Die fünf noch Hungernden wurden in den Isoliertrakt gebracht, der „Station für besondere Fälle“, wie es im Amtsdeutsch heißt.
Die fünf sind zwischen ein und vier Monaten hinter Gittern. Die Gründe dafür sind, dass sie nicht bereit sind, freiwillig auszureisen, und ihnen vorgeworfen wird, bei der zur Abschiebung nötigen Passbeschaffung nicht zu kooperieren. Sie bestreiten das. Inbesondere die Ukrainer können geltend machen, dass die ukrainische Botschaft mauert. Das Land erkennt nur solche BürgerInnen der ehemaligen Sowjetunion als ukrainische Staatsangehörige an, die in der Ukraine geboren sind oder nachweisen können, dass sie dort ihren Wohnsitz hatten. Wer das nicht kann, geht im Bermudadreieck Illegalität, Abschiebehaft und verweigerte Rückkehr unter.
Die Männer sind dürr und ausgedörrt, der Algerier kann vor Schwäche und Schmerzen weder stehen noch sitzen. Er hat ein entzündetes Bein, Folge einer schlecht verheilten Wunde, die er vor Jahren von einem Terrorakt in Algerien zurückbehalten hat. Seit Wochen macht er den polizeiärztlichen Dienst in der Anstalt auf seine Schmerzen und Schwellungen aufmerksam, doch weigern sich die Mediziner, dagegen etwas zu unternehmen. Sie meinen, dass der Schaden nicht mehr heilbar sei. Schlimm steht es auch um den Gabuner, der zwar nicht klagt, aber besonders ausmergelt ist. Auf Nachfrage berichtet er, dass er zwar trinkt, aber das Getrunkene regelmäßig erbricht. Dem Sanitäter, den ich darüber informiere, ist das nicht bekannt. Die Behandlungen beschränken sich auf die Messung von Gewicht und Blutdruck. Es überrascht nicht, dass der Sanitäter die Haftfähigkeit der Hungerstreikenden nicht in Zweifel zieht.
Auch der fatale psychische Zustand des Algeriers war bisher kein Anlass, darüber nachzudenken. Vor Verzweiflung hat er sich einige Tage zuvor in das schmerzende Bein geschnitten, dennoch bleibt er hinter Gittern. Erst zwei Tage nach meinem Besuch wird seine Freilassung verfügt.
Ist bürokratischer Sadismus ein Meister aus Deutschland? Es ist unglaublich, wie Menschen, die als „Illegale“ entdeckt wurden, in unserer Stadt erniedrigt und entwürdigt werden.
Hartwig Berger (57) ist migrationspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus
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