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Die Stunde der Patrioten

So sehr sich Österreichs Regierung auch über die EU-Sanktionen empört, so wissen die Wiener Koalitionäre sie doch für ihre Zwecke zu nutzen

aus Wien RALF LEONHARD

Eine Gruppe österreichischer Schülerinnen und Schüler wird dieser Tage in Frankreich auf Händen getragen. Die Grande Nation will mit einem politisch-kulturellen Sonderprogramm und betont zuvorkommender Behandlung beweisen, dass mit den Sanktionen gegen die Regierung Schüssel nicht die Menschen aus Österreich getroffen werden sollen. Die Mitglieder derselben Schülergruppe waren im Februar bei einem Besuch in Straßburg als Nazis beschimpft und selbst von ihren Gastfamilien wie Aussätzige behandelt worden.

Mit starken Worten punkten

Was die Schüler damals erleben mussten, sorgte für Aufregung und Diskussionen über Charakter und Ziel der Isolationsmaßnahmen der EU. Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher gibt allerdings an, persönlich von den so genannten EU-Sanktionen bisher nichts gespürt zu haben. Das gilt auch für die Wirtschaft. Die Bilanz des ersten Quartals 2000 lässt weder im internationalen Handel noch beim Tourismus Einbrüche erkennen. Selbst die Belgier, deren Außenminister das Skifahren in Österreich als unmoralischen Akt gebrandmarkt hatte, kommen in unverminderter Zahl. Gleichwohl rangieren die Sanktionen auf der Liste der Dinge, die dem Volk missfallen, an erster Stelle und weit vor dem Sparpaket, dessen Auswirkungen allerdings auch noch nicht zu spüren sind. Mit starken Worten gegen die ungerechte Isolationspolitik kann man also punkten. Die im Dunstkreis von Haider geborene Idee, eine Volksbefragung über die Sanktionen zu veranstalten, steht zwar auf verfassungsrechtlich wackligen Beinen, doch hat sie auch bei der ÖVP Befürworter. Man ist patriotisch in Österreich.

Als mutige Kämpfer gegen die ungerechten Sanktionen konnten sich vor allem Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner in Szene setzen. Wolfgang Schüssel erfreut sich zunehmender Popularität. Zwar unterstellen ihm die Landsleute Machtgeilheit, weil er, um Bundeskanzler zu werden, gleichsam einen Pakt mit dem Gottseibeiuns einging, doch seine Steherqualitäten werden in Österreich honoriert. Was dem Christdemokraten aber am meisten geholfen hat, sind die unfreundlichen Gesten der europäischen Kollegen. Die Sanktionen der EU, so resümierte Schüssel am 13. Mai bei seiner Bilanz der ersten 100 Tage im Amt, hätte die Koalition zusammengeschweißt. Vom ÖVP-Fraktionschef Andreas Khol, der vor wenigen Jahren noch die FPÖ „außerhalb des Verfassungsbogens“ gesehen hatte, bis zur Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, die noch im Wahlkampf gelobt hatte, einer Regierung mit den Freiheitlichen keinesfalls angehören zu wollen, verliert in der ÖVP keiner mehr ein böses Wort über den Koalitionspartner. Gleichzeitig wird die Regierungsarbeit so inszeniert, dass die Christdemokraten als Kämpfer für Österreichs Ehre im Ausland verkauft werden, während die Freiheitlichen zu Hause die unpopulären Maßnahmen verkaufen müssen.

Tatsächlich sind die Freiheitlichen, seit sie in der Regierung sitzen, in den Umfragen deutlich abgesackt. Von den fast 27 Prozent, die sie bei den Nationalratswahlen vom vergangenen Oktober einfuhren, bleiben ihnen, wenn man den Meinungsforschern glauben darf, runde 20 Prozent. Eine vom Nachrichtenmagazin profil in Auftrag gegebener Meinungstest im April sah die Haider-Partei gar nur bei 17 Prozent. Die Wahlergebnisse der letzten Wochen bestätigen diesen Trend.

Jeder Auftritt der Spitzenpolitiker wird zu einer Huldigung an Rotweißrot, und die Regierungsparteien lassen keine Gelegenheit aus, die Oppositionsführer als schlechte Österreicher anzuschwärzen, Landesverräter nachgerade. SPÖ und Grüne, die den von Schüssel und Haider eingeforderten „Schulterschluss“ gegen die „ungerechten Sanktionen“ verweigerten und vielmehr verlangen, die Regierung solle die Ursache der Maßnahmen, nämlich Haiders fremdenfeindliche Sprüche, anerkennen und sich davon deutlich distanzieren, sind von anfänglicher Schadenfreude über das Verhalten der Europäer auf eine differenziertere Haltung umgeschwenkt. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer setzt sich für die Schaffung eines genormten Beobachtungsverfahrens ein, das die Einhaltung der „europäischen Werte“ in allen Mitgliedsstaaten gewährleisten soll. Auch Grünen-Obmann Alexander Van der Bellen plädiert für klare Spielregeln bei der Österreich-Quarantäne. Weil beide nicht vorbehaltlos für die Aufhebung der Sanktionen eintreten, empören sich die Freiheitlichen über „eine Spur der Vernaderung“, die die Oppositionsführer durch Europa ziehen. Vernaderung ist ein etwas aus der Mode gekommenes wienerisches Synonym für Denunziantentum.

Nur Verräter trinken Champagner

Jörg Haider, der seit seiner Abdankung als FPÖ-Chef am 1. Mai immer wieder mit ebenso dummen wie Aufsehen erregenden Vorschlägen in die Medien drängt, forderte kürzlich Sanktionen gegen Politiker, die Österreich im Ausland schlecht machen. In einer Anspielung auf SPÖ-Chef Gusenbauer, der in Paris wie ein Staatsgast empfangen wurde, typifizierte er „im Ausland mit Feinden Österreichs Champagner zu trinken“ als künftig strafrechtlich zu ahndendes Delikt. Justizminister Böhmdorfer wurde vom Vorstoß seines ehemaligen Mandanten so überrascht, dass er die Idee „sicherlich verfolgenswert“ fand. Eine Überlegung, die ihm tags darauf im Parlament einen Misstrauensantrag der Grünen einbrachte. Später fand er sie nur noch diskussionswürdig.

Unentwegt provoziert der Kärntner Landeshauptmann Empörung und sorgt damit dafür, dass die Sanktionen erhalten bleiben. Sekundiert wird er dabei von seinem Wiener Landesparteisekretär Hilmar Kabas, der vor den Nationalratswahlen mit seinen Plakaten „Gegen Überfremdung und Asylmissbrauch“ die niederen Instinkte mobilisieren wollte. Kabas sorgte zuletzt mit einer Beschimpfung von Bundespräsident Thomas Klestil für die Hebung seines Bekanntheitsgrades. Kabas, der dem Staatschef gram ist, weil der sich geweigert hatte, ihn als Verteidigungsminister zu vereidigen, wollte im Nachhinein das Wort „Lump“ nicht benützt haben. Vielmehr hätte er „Hump“ oder „Dump“ gesagt, stellte er klar. Mit sichtlichem Vergnügen wälzten Journalisten daraufhin tagelang Wörterbücher und interviewten Sprachwissenschaftler, um dem Sinn der geheimnisvollen Anwürfe auf den Grund zu kommen. So machte sich Kabas zwar zum Gespött des Feuilletons, doch erreichte er, wie auch Haider eines: Ablenkung von den Taten, an denen die Regierung eigentlich gemessen werden will.

Dabei ist das Team Wolfgang Schüssel/Susanne Riess-Passer auf dem besten Wege, Errungenschaften der sozialdemokratischen Reformpolitik Stück für Stück zu zertrümmern. Aus dem wirtschaftspolitischen Maßnahmenkatalog winkt der Austro-Thatcherismus, gesellschaftspolitisch strebt man dem Biedermeier entgegen. Die Kampfansage an die Sozialpartnerschaft, die trotz aller Reformbedürftigkeit den sozialen Frieden der Zweiten Republik sichergestellt hat, begann schon mit der Neuordnung der Kompetenzen und der Besetzung der Ministerien. Das Sozialministerium wurde bisher immer mit Personen aus dem Dunstkreis des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) besetzt. Mit der gelernten Hauswirtschaftslehrerin und Schlossbesitzerin Elisabeth Sickl hat die FPÖ eine Frau ins Kabinett geschickt, die – freundlich gesagt – überfordert ist. Den Bereich Arbeit hat man aus ihrem Ressort prompt ausgegliedert und dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen. Schon die ersten Reformen auf diesem Gebiet wurden nicht mit den Gewerkschaften abgesprochen. Eindeutig politisch motiviert ist der Sturmangriff auf die Arbeiterkammer. Diese in Österreich besonders mächtige Interessenvertretung wird durch eine automatisch vom Lohnzettel abgezogene Umlage von monatlich umgerechnet zwölf Mark finanziert. Die von der Regierung geforderte Kürzung dieses Beitrags würde dem einzelnen Arbeitnehmer monatlich vier Mark ersparen, aber die AK um 40 Prozent ihres Budgets bringen.

Die Milliarden zum Stopfen der Budgetlöcher holt sich Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) bei den kleinen Leuten. Während man die Wirtschaft mit einer Senkung der Werbesteuern bei Laune hält, werden die Normalverbraucher mit der Verdoppelung der Gebühren für Pässe, Führerscheine, Autobahnbenützung und der kräftigen Anhebung der Kfz-Steuer geschröpft.

Die ersten ideologischen Schläge

Zur bedrohten Spezies werden alle Gruppen und Initiativen, die dem ideologischen Spektrum der Opposition zugerechnet werden. Den ersten Schlag führte Innenminister Strasser (ÖVP), der die Zahl der Zivildienststellen mit einem Federstrich um 30 Prozent kürzte. Die schon jetzt erhebliche Warteliste für einen Zivildienstposten wird sich sprunghaft erhöhen. Für viele ein fataler Eingriff in Lebensplanung und Berufschancen. Denn um eine feste Stelle zu bekommen, muss man die Ableistung von Wehrdienst oder Zivildienst nachweisen. Entwicklungspolitische oder sozialpolitisch engagierte Organisationen, die vor allem dank der billigen Zivildiener effizient arbeiten konnten, müssen ihre Tätigkeit drastisch herunterschrauben. Minister Strasser gibt zwar zu, dass die Kürzungen hart sind. Doch wer keine Nachteile im Beruf auf sich nehmen will, der möge eben zum Bundesheer gehen.

Nachdem Haider jahrelang einen Kreuzzug gegen die rot-schwarze Proporzwirtschaft geführt hatte, werden jetzt die Sozialdemokraten aus allen Machtpositionen hinausgeboxt. Im ORF-Kuratorium, bei den Bundesbahnen, selbst im Kuratorium der Salzburger Festspiele halten scharenweise Haider-Vertraute ihren Einzug.

Immerhin: Der Widerstand regt sich. Die „Demokratische Offensive“, ein breites gesellschaftliches Bündnis, ruft für Samstag zu einer großen Demonstration auf, die tagsüber von einem ausgiebigen Kulturprogramm und Diskussionen begleitet werden und am Abend mit einem „Fest für Neuwahlen“ enden soll.

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