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Diskriminierende Medizin

Die Präimplantationsdiagnostik erlaubt, Embryonen auf ihre Qualität hin zu untersuchen und zu selektieren. Das wird das Leben der Menschen gravierend verändern. Die Folgen sind problematisch

Es geht darum, die Gesellschaft nach normativen Vorgaben zu formen

von OLIVER TOLMEIN

Schon der Begriff „Präimplantationsdiagnostik“ signalisiert: Sie betreten Terrain, auf dem ExpertInnen das Sagen haben. Dies bestätigt erneut das Symposium über Fortpflanzungsmedizin, das das Bundesgesundheitsministerium in dieser Woche veranstaltet. Dabei wird das Thema vor allem das Leben der Nicht-ExpertInnen in der Bundesrepublik gravierend verändern.

Die Präimplantationsdiagnostik wird seit 1990 praktiziert, ist bislang jedoch weltweit nur wenige hundert Male angewandt worden; sie ermöglicht, eine außerhalb des Mutterleibs befruchtete Eizelle auf genetische Besonderheiten hin zu untersuchen, noch bevor sie in den weiblichen Körper eingesetzt wird. Die Präimplantationsdiagnostik ist in zweierlei Hinsicht höchst brisant: Es ist ein medizinisches Selektionsverfahren, denn es ist ausschließlich entwickelt worden, um festzustellen, ob ein Embryo vorab definierten genetischen Anforderungen genügt. Ist der Embryo von ausreichender Qualität, wird er der Frau eingesetzt, andernfalls eliminiert. Zudem werden bei einer Präimplantationsdiagnostik stets überzählige Embryonen produziert. An diesen Embryonen ist der Wissenschaft auch gelegen: Schon Weiterentwicklung und Verbesserung der Präimplantationsdiagnostik verlangen nach Embryonen – aber auch für andere medizinische Projekte werden die menschlichen Mehrzeller als Experimentiermaterial benötigt. Wenn sich die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland durchsetzt, dann fördert sie auch die hierzulande noch verbotene Embryonenforschung.

Derzeit ist umstritten, ob die Präimplantationsdiagnostik mit dem geltenden Embryonenschutzgesetz vereinbar ist. Die wohl überwiegende Meinung der JuristInnen bezweifelt das, aber immer mehr ÄrztInnen wollen die gegenwärtige Rechtslage großzügiger interpretieren. Gleichzeitig gibt es starke Bestrebungen, das Embryonenschutzgesetz so zu verändern, dass es das neue Selektionsverfahren eindeutig zulässt und gleichzeitig auch die Embryonenforschung zumindest in einem gewissen Umfang legalisiert.

Damit ist die Frage aufgeworfen, wie die eventuelle Einführung einer gesellschaftlich so hoch brisanten Technologie diskutiert werden soll. Das Bundesgesundheitsministerium hat sich beim Symposium „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland“ entschlossen, die Probleme öffentlich und durch ExpertInnen erörtern zu lassen. Das klingt einleuchtend: Wer, wenn nicht WissenschaftlerInnen, sollte die Kompetenz haben, die Politik zu beraten und ihr das nötige Know-how zu vermitteln? Zudem hat das Bundesgesundheitsministerium die Foren pluralistischer besetzt, als das gemeinhin auf diesem Sektor üblich ist: Feministische Wissenschaftlerinnen, ExpertInnen aus den Reihen der Behindertenbewegung, kritische BiologInnen, MedizinerInnen, Politik- und SozialwissenschaftlerInnen sind nennenswert vertreten.

Mit der Präimplan-tationsdiagnostik kommt auch die Embryonenforschung

Dass dennoch ein starkes Unbehagen aufkommt, hat mit dem Diskussionsthema selbst zu tun. Es unterscheidet sich grundsätzlich von allen kontrovers diskutierten Themen der Biowissenschaften und der Bioethik: Die Präimplantationsdiagnostik ist an sich diskriminierend. Selbst die vorgeburtliche Diagnostik, die am Fetus während der Schwangerschaft vorgenommen wird, führt zumindest theoretisch nicht dazu, dass ein als „behindert“ identifizierter Fetus abgetrieben wird. Vor allem wird im Zuge der Pränataldiagnostik nicht aus mehreren Feten derjenige selektiert, der ausgetragen werden soll, weil er bestimmten Anforderungen genügt. In der bioethischen Debatte um die „Euthanasie“ (etwa mit Blick auf den Abbruch der künstlichen Ernährung bei Wachkoma-Patienten), gehen die meisten Befürworter zumindest von einer „mutmaßlichen Einwilligung“ des Patienten aus. Auch wenn dies kein Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes sein kann und es reine Fiktion ist, dass das Verhungern im Interesse der Wachkoma-Patienten sein soll – der prinzipielle Unterschied zur Präimplantationsdiagnostik bleibt: Die Präimplantationsdiagnostik bringt bei der Selektion der Embryonen erklärtermaßen ausschließlich die Maßstäbe und Interessen anderer zur Geltung.

Kann die Diskussion von ExpertInnen eine legitime Grundlage schaffen, um eine Technik zu legalisieren, die TrägerInnen von bestimmten genetischen Eigenschaften diskriminieren soll? Jenseits des pragmatischen „Wer-denn-sonst“-Einwandes ist zu bedenken: Es sind nur Facetten des menschlichen Zusammenlebens durch den intellektuellen Diskurs zu erfassen. Bei der Präimplantationsdiagnostik geht es aber darum, die Gesellschaft durch den gezielten Einsatz medizinischer Technologie insgesamt nach normativen Gesichtspunkten zu formen. Zwar wird die Entscheidung, welche genetischen Eigenschaften Embryonen von der Implantation ausschließen sollen, mit medizinischen Indikationen begründet – tatsächlich aber liegt ihr ein normatives Konzept zugrunde. Schon vorab wird festgelegt, welche Abweichungen vom genetischen Standard als nicht mehr tolerierbar gelten. In den Staaten, die die Präimplantationsdiagnostik zugelassen haben, reicht das Selektionsspektrum von der Bluterkrankheit über Chorea Huntington und die erbliche Disposition für bestimmte Formen von Darmkrebs bis zur Mukoviszidose. Die Fortschritte in der Entzifferung des menschlichen Genoms werden das Interesse, „Normalität“ zu definieren und durchzusetzen, noch einmal spürbar verstärken.

Gerade die Menschen, die aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften zu der Gruppe gehören, die so weit von Normalität entfernt ist, dass ihre Existenz künftig verhindert werden soll, sind auch von der gegenwärtigen Diskussion ausgeschlossen. Die ExpertInnen mit Behinderungen, die jetzt an der Auseinandersetzung beteiligt sind, werden ihnen näher sein als die Mediziner, die sie ausschließlich als Defektwesen sehen. Mit der Stimme der von Präimplantationsdiagnostik bedrohten Gruppe sprechen auch sie nicht. Vor allem etablieren die ExpertInnen allesamt, wie es ihre Aufgabe ist, den Raum der intellektuellen Auseinandersetzung, einen Raum, zu dem der größte Teil der von den Normen der Präimplantationsdiagnostik diskriminierten Gruppen keinen Zugang hat. Die aktuelle Debatte über Präimplantationsdiagnostik nimmt so schon einen Teil der Veränderungen in der Gesellschaft vorweg, die ihrer Einführung folgen könnten. Um überhaupt einen Weg aus diesem Dilemma zu finden, muss man sich seiner allerdings zumindest bewusst sein. Und die Öffnung des Raumes für einen Diskurs, in dem gerade der eigene Beitrag der Diskriminierten eine zentrale Rolle spielt, muss gewollt sein. Daraus folgt aber: Wenn derzeit schon die Auseinandersetzung mit Präimplantationsdiagnostik deren Brisanz nicht gerecht wird und ihrem diskriminierenden Potential nicht entgegensteuert, kann ihre Einführung auf gar keinen Fall legitim sein.

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