: Das Herz eines Tiefbauers
■ 230.000 Kubikmeter Erde sind im Bremer Osten in Bewegung / Eine Baustelle, die Ingenieure klasse und Anwohner nervtötend finden: der Hemelinger Tunnel
Der künftige Hemelinger Tunnel ist eine klaffende Wunde im Körper der Stadt. Mit enormem Aufwand wird das 593 Meter lange Bauwerk seit 1999 vorangetrieben. Geplante Kosten: 350 Millionen Mark plus 44 Millionen für die Sanierung des verkehrszermürbten Stadtteils. Ab 2003 soll der Tunnel die Sebaldsbrücker Heerstraße mit dem Autobahnzubringer Hemelingen verbinden und so für Entlastung sorgen. Bis dahin wird gebuddelt. Eine Baustellenbetrachtung.
Die Welle. Im Büro des Oberbauleiters klebt eine Schlange an der Wand. Vielleicht auch die Kontur einer sanft geschwungenen Taille. Oder besser: eine Welle. Die zusammengestückelten Pläne zeigen eine Aufsicht des entstehenden Tunnels. Er hat 58 Segmente („Deckel“). Zwölf davon sind blau schraffiert: Sie sind bereits fertig betoniert, abgedichtet und mit Erdreich zugedeckt. Doch einen Tunnel darunter gibt es noch nicht.
Der Arbeiter. Siegfried Niß (50) lehnt am Geländer oberhalb von Deckel 49. Frischer Beton fließt in einen Käfig aus Bewehrungsstahl. Unten stochern seine Kollegen mit vibrierenden Stäben in der trägen grauen Masse.
„Das ist eine elektrische Rüttelflasche. Durch sie soll der Beton verdichtet werden. Meine Aufgabe ist es, die Leute zu beobachten – ich bin hier der Vorarbeiter. Wir sind eine Akkordkolonne und machen immer einen Abschnitt zusammen, von Montag bis Donnerstag, zehn Stunden am Tag. Für 27 Mark die Stunde. Ich wohne in einem der gelben Containern da drüben.“
Der Boden. Vielleicht war es im letzten großen Krieg: Eine Bombe trifft ein Lager mit Fässern, die der Reichsbahn gehören. Die Behälter bersten, Holzschutzmittel sickert in die Tiefe. Ein halbes Jahrhundert später kommt es wieder ans Tageslicht: Tausend Kubikmeter verseuchtes Erdreich, genug für hundert große LKW. Eine Million soll es kosten, das vor drei Wochen aufgespürte Giftzeug zu verbrennen. Auch Schlacken, Öle, Fette verseuchen den Untergrund. Doch damit hat man – so heißt es – von Anfang an gerechnet.
Der Bauleiter.Wilfried Hirschmann (48) trägt Herrenschuhe und hat eine signalfarbene Bauarbeiter-Jacke im Kofferraum. Sein Handy ist winzig und klingelt oft. Hirschmann ist Oberbauleiter.
„Ich bin Bremer, und das ist der Grund, warum ich mich hierher beworben hab'. Hier gibt's ja nicht so viele Großprojekte. Zuletzt war ich an der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke Köln/Rhein/Main. Ich bin Dipolm-Ingenieur und habe Verkehrswegebau studiert. Und zum Tunnelbauer, da wird man gemacht. Hier gibt es wirklich alles, was das Herz eines Tiefbauers begehrt.“
Der Abgrund. Auf dem Areal „An der Grenzpappel“ sitzt ein Industrietaucher am Rand eines Pontons und wackelt mit den Flossen. Das Grundwasser steht meterhoch. Unter der Bahnüberführung nebenan hat man die zehn Meter tiefe Grube schon abgedichtet. Hier entstehen die Druckkammern für Menschen und Material: Der Tunnel wird unter den fertigen Deckeln gegraben, das Erdreich verflüssigt und durch Rohre abtransportiert. Überdruck von 0,7 bis 0,9 bar soll im Tunnel das nachströmende Wasser verdrängen. 25 extra kreislaufstabile Arbeiter wurden dafür engagiert. Sinn des Bauverfahrens: Verkehr, Lärm, Schadstoffe sollen reduziert werden, heißt es.
Die Anwohnerin. Monika Achilles (44) schiebt ihren Enkel Ali Can im Kinderwagen die Diedrich-Wilkens-Straße entlang. Zur Linken: die Baustelle.
„Eins will ich Ihnen sagen: Wir sind am überlegen, ob wir hier wegziehen. Mein Enkel hat nur noch Bagger im Kopf. Der ganze Dreck auf den Fenstern. Wir wohnen in der Bertramstraße 23 und gucken direkt auf die Baustelle. Und mein Mann ist Instandhaltungsmechaniker bei den Stahlwerken, der muss um vier Uhr raus. Bald wollen wir in die Neustadt umziehen, da ist es ruhiger. Gerade ist gegenüber schon ein Paar mit zwei Kindern ausgezogen. Und ehe das Ding fertig ist, werden hier noch mehr Leute gegangen sein.“ hase
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