: Radio aus der Schublade
■ Mit einem neuen-alten Wellen-Konzept will RB-Intendant Heinz Glässgen ab 2001 Nordwestdeutschland beschallen
Schon Lenin machte einst einen Schritt zurück, um zu einem großen Sprung nach vorne anzusetzen. Mit dem gleichen Rezept will Heinz Glässgen jetzt die vier Hörfunkprogramme Radio Bremens (RB) fit für die nächsten Jahre machen. Am Donnerstag Abend präsentierte der Intendant des kleinsten ARD-Senders dem Rundfunkrat sein Konzept. Demnach sollen die vier Wellen erhalten werden, aber ein neues Profil bekommen. Vor allem für die beiden Massenwellen Radio Bremen 1 „Hansawelle“ und Radio Bremen 4 holte er dabei ein Konzept aus der Schublade, das seine Vorgänger – zum Unverständnis mancher InsiderInnen – dort gelassen hatten.
Auf den Frequenzen des einstigen so genannten Flaggschiffs „Hansawelle“ soll ab Anfang nächsten Jahres ein Programm für HörerInnen ab 40 gesendet werden. In diesem Programm werden die bisherige Hansawelle und die Melodie-Welle Radio Bremen 3 verschmolzen. Der Arbeitstitel „Bremen Eins/HansaMelodie“ klingt nach Déja-vù: Nach mehreren erfolglosen Verjüngungsversuchen der „Hansawelle“ knüpft Glässgens Konzept an den alten Plan an, das Programm sozusagen mit den HörerInnen älter werden zu lassen – wenn es dafür nicht schon zu spät ist. Im gleichen Atemzug soll auf den Frequenzen von Radio Bremen 4 ein zweites, jüngeres Massenprogramm gesendet werden. Mit der Zielgruppe bis 40 ist es demnach nicht mehr die Jugendwelle. Beide Programme will Glässgen von einer gemeinsamen Redaktion mit Nachrichten beliefern lassen, die jeweils unterschiedlich aufbereitet werden.
Mit etwa einem Viertel des Etats war das Kulturprogramm Radio Bremen 2 bislang die teuerste Welle im RB-Quartett. Da will Glässgen jetzt deutlich abspecken. In seinem Szenario soll auf den Frequenzen des bisherigen Kulturprogramms das seit Monaten geplante Nordwest-Radio zu hören sein. In Kooperation mit dem NDR, der etwa die Hälfte der zwölf Millionen Mark Programmkosten bezahlen soll, versorgt das Programm unter dem Titel „Information & Kultur NordWest“ künftig die Region zwischen Wilhelmshaven und Neustadt am Rübenberge. Entsprechende Vorgespräche mit dem NDR hat es nach Glässgens Angaben gegeben. Dem Vernehmen nach sollen sie im Ergebnis sehr viel weiter über die bisherigen Kooperationsgespräche hinausgehen.
Ein Teil des bisherigen Angebots auf Radio Bremen 2 soll auf die Frequenzen der bisherigen Melodiewelle wandern. Dort will Glässgen das WDR-Mittelwellen-Programm „Funkhaus Europa“ ganz durchschalten. Schon jetzt steuert neben dem Sender Freies Berlin (SFB) auch RB Sendungen wie „Art und Weise“ oder „Daheim in der Fremde“ zum Funkhaus bei. Durch die Trennung wäre das Durcheinander im Programmprofil aufgehoben.
Möglichst schon zum Jahreswechsel, spätestens aber im April 2001 sollen die Wellen im neuen Zuschnitt zu hören sein. Glässgen genießt offenbar breite Zustimmung zu diesem Konzept. Aus dem Rundfunkrat waren gestern wohlwollende bis erleichterte Töne zu vernehmen. Ähnliches gilt für einzelne Redaktionen des am stärksten betroffenen Programms, Radio Bremen 2. Offen allerdings ist, was von den Abteilungen für die klassische Vollversorgung wie etwa Konzertmitschnitte oder Hörspiel bei der neuen NordWest-Kultur noch übrig bleibt.
Nach Glässgens Rechnung kann jede Mark, die bei den Fixkosten gespart wird, für das Programm ausgegeben werden. Nach der Kürzung des ARD-Finanzausgleichs muss der Sender bis 2005 rund 50 Millionen Mark seines 186-Millionen-Mark-Etats sparen. Durch ein Vorruhestandsprogramm und Kürzungen bei Sachmitteln hat er ein Fünftel dieser Summe zusammen. Ein weiteres Fünftel hofft er, bei den Überweisungen für ARD-Gemeinschaftsaufgaben kürzen zu können. Hinter dem Rest steht noch ein dickes Fragezeichen.
Christoph Köster
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