: Nordmänner des Südens
Die wahren Wikinger kommen aus Mittelfranken, haben ein eigenes Wikingerschiff gebaut und starten heute mit ihrer „Nautilus“ zur großen Kaperfahrt auf der Mosel
Diesmal wollen sie es richtig wissen. Die Mosel ist ab heute ihr Ziel. Sie, das sind „Die anderen Wikinger“, und sie kommen aus der kleinen mittelfränkischen Ortschaft Unteraltenbernheim. Im Volksmund heißen sie nur die Altenbernemer Wikinger, und wenn sie jetzt wieder mit ihrer „Nautilus“ auf große Fahrt gehen, dann wird so mancher jungen Frau in der kleinen Gemeinde weh ums Herz, ziehen doch ihre fränkischen Nordmänner, echten Wikingern gleich, mit Helm und Horn in die Ferne – und zwar ohne sie.
Mit Helm und Horn ...
Die Idee, berichten die Zwillingsbrüder Rudolf und Roland Göller, entstand schon vor Jahren – bei einem Wikingerfest 1982. Etwas abseits vom Ort hatten sich die jungen Burschen in einem Steinbruch getroffen, berichtet Roland, hatten gefeiert und sogar ein kleines Wikingertheaterstück gespielt. „Einer hat plötzlich gesagt, die Wikinger hatten doch auch Schiffe. Dann habe ich überlegt und überlegt, hatte eine schlaflose Nacht, in der ich mir sämtliche Konstruktionspläne ausdachte.“ Der gelernte Schreiner nutzte fortan jede freie Minute in der Schreinerei seines Bruders und baute innerhalb von sechs Wochen draußen auf der Wiese die Urform der „Nautilus“.
Es begannen die ersten Fahrten, zunächst auf dem Brombachsee bei Gunzenhausen. Dann folgten die großen Touren auf der Donau und dem Rhein. Und wenn sie dort unterwegs sind mit ihrer 7,60 Meter langen und 2,50 Meter breiten „Nautilus“, dann gibt es mitunter recht merkwürdige Reaktionen, vor allem an Deck vorbeifahrender Passagierschiffe, berichtet Rudolf Göller. „Was uns immer wieder amüsiert: Zuerst sitzen die Leute gelangweilt an Deck, dann kommen wir daher und plötzlich kommt Unruhe auf, die Fahrgäste stürzen an die Reling, suchen ihre Fotoapparate und knipsen drauf los.“
Bereits nach den ersten Testfahrten sollten die „Anderen Wikinger“ feststellen, dass ihre „Nautilus“ umgebaut werden muss. Zu sehr schwankte ihr Wikingerboot, als dass es wirklich Freude gemacht hätte. Seither steht den großen Fahrten – sie dauern meist acht Tage – nichts mehr im Weg. Lange Zeit ging das gut, dann gab es innerhalb der Gruppe Differenzen, inzwischen hat man sich darauf geeinigt, die Bootszeiten unter den beiden Wikingergruppen zu teilen. Nach den ersten großen Fahrten flaute zeitweise die Lust am Wikingersein ab. Manchmal waren statt der bislang zwölf Franken-Wikinger gerade mal sechs on tour. Aber einmal, beim Spalierstehen anlässlich einer Hochzeit, flammte die alte Wikinger-Lust doch wieder richtig auf. „Jetzt packt uns wieder die Reiselust“, erzählt „Nautilus“-Erbauer Roland. „Es ist ein gewisses Fieber, da wird man schon langsam nervös“, meinte er noch vor einigen Tagen. Und wenn sie nach Wochen der Vorarbeit und Vorfreude heute endlich wieder in ihre Wikingergewänder schlüpfen, die „Nautilus“ mit dem Kennzeichen NG 12620 in der Nähe von Trier in die Wasser der Mosel lassen, dann werden sie wieder an Deck sitzen und sich wie die echten Wikinger fühlen, von denen man sagt: „Niemand weiß mehr genau, wer sie waren oder woher sie kamen. Sicher weiß man heute nur, dass sie eines Tages da waren.“
... ziehen sie in die Ferne
Das Drachenschiff „Nautilus“ wird die nächsten acht Tage auf den Wogen der Mosel schaukeln, und wenn die „Anderen Wikinger“ dann nächtens in einem Lokal am Ufer einkehren, wird es viel zu erzählen geben. Zum Beispiel die Geschichte, als sie einmal um ein Haar gekentert wären, zu Füßen der Loreley. Mehrmals hatten die tapferen Männer in den Fellgewändern und Lederröcken die scharfkantigen Klippen geschrammt. Aber sie haben auch dieses Abenteuer heil überstanden. KLAUS WITTMANN
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