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Viel Lärm, aber noch kein Krach

Der erste ärgerliche Austausch ist vorbei. SPD und Grüne in Düsseldorf spüren jetzt ein freundlicheres Verhandlungsklima. Das werden sie brauchen

aus DüsseldorfPASCAL BEUCKER

Der Zeitplan ist durcheinander geraten. Bis zum Wochenende, so hatte Ministerpräsident Wolfgang Clement zu Beginn der rot-grünen Verhandlungen in Düsseldorf verkündet, sollten alle Sachthemen abgearbeitet sein. Aber die Koalitionsgespräche stecken im Stau: Immer noch haben sich SPD und Grüne nicht über die zukünftige Verkehrspolitik geeinigt. Nun wird zunächst in acht weiteren Runden bis zum 6. Juni verhandelt. Bei den Grünen ist trotzdem wieder die Hoffnung gewachsen, dass es zu einer Neuauflage von Rot-Grün an Rhein und Ruhr kommen wird. SPD-Landeschef und -Generalsekretär Franz Müntefering wies denn auch alle Gerüchte zurück, die SPD sei nicht ernsthaft an einer Einigung mit dem ungeliebten grünen Partner interessiert. „Die Tatsache, dass wir verhandeln, ist ein Zeichen, dass wir die Koalition wollen“, sagte Müntefering. Am Sonntagabend legten die grünen Unterhändler die bislang erzielten Ergebnisse in einer nichtöffentlichen Sitzung in Essen ihrem Landesparteirat vor.

Die Atmosphäre bei den Gesprächen mit den Sozialdemokraten habe sich deutlich verbessert, hieß es aus Kreisen der grünen Verhandlungsdelegation. So sei Clement, an dessen Kooperationswillen führende Grüne zuvor noch öffentlich gezweifelt hatten, bei den Runden am Samstag und Sonntag wie ausgewechselt gewesen. Die Gespräche bezeichnete der grüne Bauminister Michael Vesper als „sehr konstruktiv und sehr sachlich“. Dass ein Gespräch am Freitag mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zu einem Sinneswandel bei ihm geführt habe, dementierte Clement. „Ich habe keinen Druck verspürt“, so der SPD-Politiker. Auch Müntefering betonte die Unabhängigkeit der nordrhein-westfälischen SPD in der Koalitionsfrage: „Die Entscheidung liegt bei uns in NRW und vor allem beim Ministerpräsidenten.“

In der Finanz- und Wirtschaftspolitik haben sich SPD und Grüne bereits geeinigt. Die Übereinkunft beider Parteien in diesen Bereichen sei „absolut klar“, verkündete Clement nach der fünften Verhandlungsrunde am Samstag. So soll die Nettokreditaufnahme des Landes bis 2005 auf unter fünf Milliarden zurückgefahren werden. Vor allem im Personalbereich sollen die Kosten deutlich reduziert werden. Ein vereinbartes Mittel: Bis auf den engeren Hoheitsbereich, etwa Polizei und Justiz, sollen frei werdende Stellen nur noch mit Angestellten und nicht mehr mit Beamten besetzt werden. Das betrifft besonders die Lehrer des Landes.

Auch in der Schulpolitik haben sich die beiden Parteien verständigt. Hier haben sich die Grünen in vielen Punkten durchgesetzt. So sollen die Schulen mehr Autonomie und ein eigenes Budgetrecht erhalten. Für leistungsschwache und starke Schüler soll es einen differenzierteren Unterricht geben. Die Ausstattung der Schulen mit Computern wird verbessert und das Fach Englisch schon ab dem dritten Schuljahr unterrichtet werden. Außerdem sollen mehr Lehrer eingestellt werden.

Auch der Braunkohletagebau Garzweiler II ist kein Streitpunkt mehr: „Die entsprechenden Genehmigungen sind ohne Wenn und Aber erteilt worden“, so die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn. Alles weitere „regelt der Markt“.

Umstritten ist zwischen SPD und Grünen weiterhin der Bereich des Straßen- und Flugverkehrs. Hier ringt eine sechsköpfige Arbeitsgruppe seit Donnerstag um gangbare Kompromisse. Eine Einigung ist jedoch bislang nicht in Sicht. Dabei ist die AG hochkarätig besetzt: Ihr gehören von Seiten der SPD Ministerpräsident Clement, Fraktionschef Edgar Moron und der Bundestagsabgeordnete Joachim Poß an. Poß ist auch Vorsitzender des mächtigen SPD-Bezirks Westliches Westfalen. Für die Grünen verhandeln neben dem parlamentarischen Geschäftsführer Johannes Remmel deren Minister Bärbel Höhn und Michael Vesper.

Clement verlangt von den Grünen eine klare Zustimmung zum Ausbau der Flughäfen und Autobahnen. Er will eine „Positivliste“ von Autobahnprojekten, die in den kommenden Jahren in Angriff genommen werden sollen, im Koalitionsvertrag festschreiben (siehe unten).

Spekulationen, die Grünen seien bereits eingeknickt und hätten den ehrgeizigen Verkehrsplänen Clements nachgegeben, weisen die grünen Unterhändler vehement zurück. Es gebe noch keinerlei Vereinbarung in den Fragen des Straßen- und Flughafenausbaus. Der Bereich sei vielmehr nach wie vor kritisch. „Wenn Teile der SPD meinen, Modernisierung bedeute, das Land zu zu betonieren, dann irren sie“, sagt ein Mitglied der grünen Verhandlungskommission. „Da sind einige dabei, die würden am liebsten noch die Datenautobahn asphaltieren.“

Doch auch wenn sich SPD und Grüne in den nächsten Tagen auf einen Kompromiss in der Verkehrspolitik verständigen, ist die rot-grüne Koalition noch nicht im Trockenen. Denn zum Schluss der Beratungen steht noch der zukünftige Zuschnitt der Ministerien auf der Tagesordnung. Und da wird es für die Grünen erneut eng: Für die Sozialdemokraten ist es jetzt schon beschlossene Sache, dass Umweltministerin Bärbel Höhn maßgebliche Kompetenzbereiche verlieren wird. So soll sie die Zuständigkeit für die Raumordnung abgeben. Damit wäre ihr Ministerium jedoch zahnlos. Unklar ist auch noch, welches Ministerium der bisherige Bauminister Vesper erhalten soll, da sein Ressort voraussichtlich wegrationalisiert wird.

Auf die Grünen warten noch heiße Tage bis zu ihrem Landesparteitag vom 16. bis 18. Juni in Bonn. Bis dahin soll der Koalitionsvertrag unter Dach und Fach sein. Dann wird die Parteibasis entscheiden. PASCAL BEUCKER

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