: Ohne reinen Hetero-Blick
Arbeitsgemeinschaft verschiedenster Akademiker will „Queer Studies“ und die herrschende Geschlechterordnung erforschen ■ Von Jakob Michelsen
Das Wort „queer“ dient häufig als zusammenfassende Bezeichnung für Lesben und Schwule. Die „AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies“, die seit Jahren einen hochschul- und fächerübergreifenden Studiengang „Gender und Queer Studies“ sowie ein entsprechendes Institut fordert, meint damit jedoch mehr: Die etwa 15 Studierenden, DoktorandInnen und Lehrenden verschiedenster Fakultäten beschäftigen sich mit den Mechanismen, mit denen die herrschende Geschlechterordnung errichtet und aufrecht erhalten wird.
„Die Analyse des dominierenden männlich-heterosexuellen Blicks ist nicht nur Forschung von und für Minderheiten. Sie ermöglicht vielmehr eine neue Perspektive auf gesellschaftliche Verhältnisse“, erläutert Birgit Bauer, Philosophie-Studentin und Mitglied der AG: „Kategorien wie 'heterosexuell', 'homosexuell', 'männlich' und ,weiblich' werden hinterfragt.“ Es gehe um eine Weiterentwicklung und Synthese klassischer lesbisch-schwuler sowie feministischer Frauen- und Geschlechterforschung.
Während die in den USA oder den Niederlanden bereits fester Bestandteil des Wissenschaftsbetriebs ist, sieht es an deutschen Hochschulen armselig aus: Die drei bestehenden Studiengänge in Berlin, Potsdam und Oldenburg müssen kostenneutral und ohne feste Institutionalisierung auskommen, die Finanzierung der „Schwullesbischen Studien“ an der Universität Bremen lief 1998 aus.
Hamburg könnte hier also eine Vorreiterrolle einnehmen. Die AG präsentierte 1998 ein erstes Kurzkonzept für „Queer Studies“ und vernetzte ihre Aktivitäten mit bestehenden Institutionen wie dem „Arbeitskreis Women and Gender Studies“. Nun zeichnet sich nach zahllosen Gesprächen, Gremiensitzungen und Konzeptpapieren ein erster Erfolg ab: Die Präsidentin der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Dorothee Bittscheidt, wurde kürzlich von der Landeshochschulkonferenz und der Wissenschaftsbehörde mit der Koordination eines hochschulübergreifenden Studiengangs „Frauen- und Geschlechterforschung“ beauftragt, für den bereits eine Planerinnenstelle ausgeschrieben wurde. Für die AG und andere im Thema engagierte WissenschaftlerInnen gibt es aber einen entscheidenden Schönheitsfehler: Der Queer-Akzent und damit unter anderem der explizit lesbisch-schwule und Transgender-Blickwinkel ist bisher nicht deutlich sichtbar. Birgit Bauer: „Geschlechter- und Sexualitätenforschung gehören zusammen, sonst besteht die Gefahr, dass die herrschende Heteronormativität, also der rein heterosexuelle Blick, in den Fragestellungen bestehen bleibt.“
Ferner fordern die Queer-ForscherInnen, dass bei der Verteilung von zehn C 3-Professuren, die den Hamburger Hochschulen demnächst aus einem Frauenförder-Pool des bundesweiten Hochschulsonderprogramms zufallen sollen, auch die Geschlechter- und Queer-Studien einbezogen werden. Allerdings dürften die Gelder für den geplanten Studiengang keineswegs nur aus Frauenfördertöpfen kommen, weil dieser ja geschlechterübergreifende Fragestellungen behandeln solle.
Für die Finanzierung des Instituts, in dem die Arbeitsgemeinschaft das „Herzstück“ des geplanten Studiengangs sieht, sind bisher noch keinerlei Gelder in Sicht. „Nur eine solche feste Institution kann aber die Kontinuität der Lehre und der Forschung sicherstellen“, so AG-Mitglied Stefan Micheler, Doktorand der Geschichtswissenschaft. Notwendig seien auch eine Bibliothek und ein Archiv, da bisher grundlegende Literatur nur mühsam über die Fernleihe beschafft werden muss. Einige Universitäts-Wissenschaftlerinnen, darunter die Literaturwissenschaftlerin Marianne Schuller und die Soziologin Marianne Pieper, planen daher für Ende Juni – zunächst erst einmal ohne Gelder – die Gründung eines geschlechterübergreifenden, interdisziplinären Forschungszentrums.
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