: Polster, Pufferzone
Jan Ullrich hat vier Kilo Übergewicht. Bei Team Telekom glaubt man an eine baldige Explosion des Ex-Toursiegers
BERLIN taz ■ Schwimmer genießen gegenüber Radfahrern den Vorteil, mit einer gewissen Leibesfülle keinen Argwohn zu erzeugen. Jörg Hoffmann, Weltspitze über 1.500 Meter Kraul, darf ohne Einwände verkünden, er begebe sich nicht gern mit dem Zweirad auf die Straße, weil, wie er sagt, „bei meinen hundert Kilo platzt jeder Reifen“. Er fährt deswegen lieber auf dem Ergometer – oder er schwimmt. Im Becken kommt dem Zweimetermann der Auftrieb zugute. Radsportler aber haben schlank zu sein.
Keinen Steinwurf von Hoffmann entfernt wühlte sich der Radfahrer Jan Ullrich durch die Massen. Im Vergleich zu Hoffmann wirkt der 27-Jährige ausgesprochen dünn und sehnig. Im Vergleich zu seinem Telekom-Teamkollegen Rolf Aldag oder aber zum Gewinner der Deutschland-Tour, dem Spanier David Plaza, hat Ullrich allerdings noch eine kleine Pufferzone. Während Plaza und Aldag offenbar über die anatomische Besonderheit verfügen, fast kein Unterhautfettgewebe zu haben, nötigen die Pausbäckchen von Ullrich seinen Manager Wolfgang Strohband zur Aussage: „Neulich sah ich ihn aus der Dusche kommen, da machte er einen guten Eindruck. Auch seine Wangenknochen zeichnen sich langsam wieder ab.“ Ein Boxer würden sagen: „Ich muss Gewicht machen“ und sich eine dicke Trainingsjacke überstreifen oder in der Sauna verschwinden, um Flüssigkeit zu verlieren. Jan Ullrich hat die Deutschland-Tour bestritten.
Eine Woche lang ging es von Bonn über Stuttgart nach Berlin. 1.247 Kilometer in acht Etappen. Auf dem Schlussstück von Potsdam nach Berlin über 137,4 km siegte der Berliner Erik Zabel auf dem Kurfürstendamm. Ullrich, der im Hauptfeld ins Ziel fuhr, sagte: „Ich bin zufrieden mit der Woche. Ich kann es schaffen. Ich kann aber nun mal nicht zaubern.“ Vier Kilogramm Gewichtsverlust hat Teambegleiter Rudy Pevenage als Ziel der Diät ausgegeben. 28 Tage sind es noch bis zum Beginn der Tour de France; 28 Tage, an denen keiner vergehen wird, ohne dass Ullrich verbissen an seiner Form arbeiten wird. „Wie weit die Konkurrenz im Moment ist, interessiert mich nicht“, sagt er und auch Pevenage macht sich Mut: „Bis zur ersten schweren Bergetappe haben wir noch mal drei Wochen Zeit.“
Ein jeder im Umfeld von Telekom versucht, sich die nahe Zukunft magentafarben auszumalen. Masseur „Eule“ Ruthenberg sieht seinen Schützling „auf dem richtigen Weg“, weil er weiß, dass Ullrich innerhalb von „14 Tagen schlagartig explodieren kann“. Und Teamchef Walter Godefroot hat noch immer „einen Traum“, nämlich den, dass Ullrich „mit Form zur Tour kommt“. Für ihn ist die Frage der Erwartungshaltung entscheidend: „Jan ist ein guter Fahrer, aber er kann nicht jedes Rennen gewinnen.“ Es ärgert ihn, wenn über der Observation Ullrich’scher Pölsterchen vergessen wird, dass die Mannschaft von Telekom im Frühjahr „die beste von der Welt“ war und allein Erik Zabel 13 Siege einfuhr.
„Wenn Jan bei der Tour unter den ersten dreien ist“, orakelt Godefroot, „wird man sagen: Das war doch nicht so schlecht.“ Schon bei der Deutschland-Tour lief es nicht übel für die Angestellten von Telekom. Godefroot: „Die Jungs hatten immer die Kontrolle im Feld.“ Fünf Etappensiege gelangen, Andreas Klöden wurde Zweiter der Gesamtwertung, Udo Bölts Dritter, und viele Zuschauer kamen an die Strecke, um die Fernmelderfahrer zu gucken.
Zum Kreis der Spitzenfahrer gehörte die Startnummer 153 nicht. Aber Bert Dietz vom Team Nürnberger ist immerhin ein Rennfahrer, der schon fast alles gewonnen hat – in Deutschland. Dass Telekom den zweitklassigen Radteams kaum Luft zum Atmen gelassen hat, kümmert ihn nicht: „Das ist ganz normal, man muss sich alles erkämpfen.“
Dietz verfolgt das Treiben um Ullrich aufmerksam. Die Diskussionen um das Idealgewicht hält er für überflüssig. Es sei einfach so, dass ein „Klassement-Fahrer“ nicht das ganze Jahr fit sein könne. Zudem seien die Trainingseffekte durch Übergewicht nicht zu verachten. Er nennt es den „Rucksackeffekt“ oder „Essen für den Formaufbau“: Durch die überschüssigen Pfunde entsteht beim forcierten Training mehr Muskelmasse, ergo eine bessere Kondition. Sagt Dietz.
MARKUS VÖLKER
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