: Don`t worry, be Happening
Berlin hat sich – allen Krisen zum Trotz oder gerade deshalb? – zur Event-Hauptstadt gemausert. Vom Karneval der Kulturen bis zur Love Parade jagt ein Happening das nächste. Selbst einstige Kritiker der Festivalisierung sehen darin nichts Böses mehr
von UWE RADA
Der Mann ist pünktlich wie der Sommer. Wie in jedem Jahr hat Volker Hassemer, der Werbechef der deutschen Hauptstadt, gerade die „Schaustelle“ Berlin vorgestellt. Vom 3. Juni an können Touristen wie Berlinbesucher auf 431 Veranstaltungen und auf 136 Baustellen hautnah jene Stadt erleben, von der es heißt, sie sei immer nur im Werden und niemals im Sein. Gleichzeitig läuft im zweiten Jahr die „Stadt als Ausstellung“, eine über den gesamten Stadtraum verteilte Schnitzeljagd der Architektur. Berlin als Ausstellung, Berlin als „Show-Room“ – was privaten Investoren recht ist, ist der Stadt nur billig.
Don’t worry, be Happening. Volker Hassemer, der Chef der Marketinggesellschaft „Partner für Berlin“, hat es den Berlinern vorgemacht. Vor vier Jahren hat er das Dilemma Berlins als Stadt der Straßensperrungen, Betonmischmaschinen und Kräne einfach umgedreht und aus der Baustelle eine Schaustelle gemacht.
Andere zogen nach, und im Sommer jagt nun jedes Jahr ein Event das nächste. Am kommenden Pfingstwochenende verwandelt sich halb Kreuzberg in einen „Karneval der Kulturen“, Ende Juni feiern Schwule, Lesben, Queers und andere Schräge erst ihr Straßenfest und dann den Christopher Street Day. Und am 8. Juli peilt die Love Parade einmal mehr die Millionen-Marke an. Zwischendurch gibt es dann noch das Sommerfest der Berliner Bühnen, den Literaturexpress Europa, die Expo-Parallel-Ausstellung Sieben Hügel und vieles mehr.
Noch Anfang der 90er-Jahre wurde die Eventflut in Berlin weitestgehend kritisch betrachtet. In ihrem Buch „Die Festivalisierung der Stadtpolitik“ haben die Soziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel eine Art Kulturalisierung der Standortpolitik ausgemacht, die sich nahtlos in die Privatisierung ehemals öffentlicher Räume und Flächen der Kommunen einfüge. Die Berliner Events der Achtzigerjahre zeigten darüber hinaus, dass nicht selten auch die Ausblendung sozialer Konflikte mit der Ausweitung der Festivalisierung einherschritt. Nicht zufällig fiel 1987 der Kreuzberger Kiezaufstand am 1. Mai mit dem Beginn der 750-Jahr-Feier Berlins zusammen.
Heute dagegen, nachdem private Investoren den größten Teil der Stadt längst unter sich aufgeteilt haben, ist es um die Kritiker leise geworden. Andreas Kapphan, Mitarbeiter von Hartmut Häußermann, meint, es sei schwer, bei den Events den Charakter von „Brot und Spielen“ auszumachen. Als Beispiel nennt er den Kreuzberger Karneval der Kulturen. „Der kann natürlich als Kulturalisierung ethnischer Minderheiten kritisiert werden, aber er ist eben auch ein fröhliches Ereignis.“ Gehen also Stadtmarketing, Standortpolitik und selbst Alternativkultur plötzlich Hand in Hand?
Wohl kaum, viel mehr hat sich der Eventmarkt nicht nur ausgeweitet, sondern auch ausdifferenziert. Mittlerweile gibt es eben nicht nur die Love Parade oder den Christopher Street Day, sondern auch die Lange Nacht der Museen, das von den Berliner Verkehrsbetrieben unterstützte Clubbing samt Shuttleverkehr, Elefanten- oder Kamelrennen, die Mittelalterfeste im Umland, und selbst ein Solarbootrennen wie beim diesjährigen von der alternativen Ufa-Fabrik Anfang Juli veranstalteten ID-22-Festival ist keine Seltenheit mehr.
„Jedes Event hat eine Zielgruppe“, meint der Stadtsoziologe Kapphan, „und wenn es Streit gibt, wird der meist von denen angezettelt, die nicht nur Zielgruppe gehören.“ So zögen die Grünen etwa gegen die Love Parade zu Felde, weil die Raver den Berliner Tiergarten platt tanzen. Beim Karneval der Kulturen dagegen würden die Grünen so eine Kritik nicht wagen, meint Kapphan.
So gering allerdings der Widerstand gegen die Festivalisierung der Stadt geworden ist, so wenig hat sich an ihrem ökonomischen Antrieb, der internationalen Städtekonkurrenz, geändert. Schließlich sollen nicht mehr nur Studenten aus Westdeutschland, sondern auch IT-Spezialisten aus Indien und anderswo angelockt werden. Dass der Trend zum Stadtfestival dabei so einförmig geworden ist, liegt in der Natur der Globalisierung.
Aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel. Die Fête de la Musique zum Beispiel, in Paris seit Jahren ein Megaereignis, hat sich, trotz mehrerer Anläufe, in Berlin nicht wirklich etablieren lassen. Auf der anderen Seite ist nicht jedes Berliner Lokalevent auf andere europäische Metropolen übertragbar, vor allem nicht das Berliner „Kranballett“, mit dem Volker Hassemer die Event-Galerie der Hauptstadt vor zwei Jahren bereicherte.
Aber irgendwann werden auch Hassemer, der gern damit prahlt, Schaustelle sei nur ein anderer Name für Sommer, die Baustellen vielleicht doch ausgehen. Vielleicht wird dann ja der „Revolutionäre 1. Mai“ ins offizielle Programm der „Partner für Berlin“ aufgenommen.
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