: Der Mann mit der Zigarette
Huschang Golschiri war kein Radikaler. Die Abschaffung der Islamischen Republik forderte der Schriftsteller nur in kleiner Runde, dafür setzte er auf den Reformprozess. Viele seiner Weggefährten nahmen ihm das übel. Irans bekanntester zeitgenössischer Literat ist jetzt im Alter von 62 Jahren gestorben
von THOMAS DREGER
Er liebte die Literatur, das Leben, die Freiheit und den Tabak. Als der Kettenraucher Huschang Golschiri im April mit Atemproblemen in ein Teheraner Krankenhaus eingeliefert wurde, schien die Diagnose zuerst klar: Lungenkrebs. Doch ein Tumor wurde nicht gefunden. Freunde und Verwandte waren erleichtert, aber Golschiri, Irans bekanntester zeitgenössischer Literat, blieb krank. Am Montagmorgen starb er im Alter von 62 Jahren auf der Intensivstation. Die Ärzte vermuten eine Hirnhautentzündung als Todesursache.
Golschiri war ein absolut liebenswerter Mensch. Trotz Verfolgung und Unterdrückung – viele seiner Werke sind in Iran nie erschienen – bewahrte er sich seinen Humor: „Die Wohnung nebenan gehört dem Geheimdienst“, erklärte er mir Anfang 1991 in einem Hochhaus im Teheraner Süden, nachdem gleich fünf iranische Intellektuelle vermutlich vom Geheimdienst der Islamischen Republik ermordet worden waren und auch er selbst mit dem Tod rechnen musste. Mitarbeiter des mit dem Geheimdienst konkurrierenden Innenministeriums hätten ihm geraten, das Fenster nicht aufzumachen, weil sonst die Agenten in sein Wohnzimmer klettern könnten: „Ganz schön riskant, schließlich wohnen wir im zwölften Stock“, sagte Golschiri.
Sein 1998 in Deutschland erschienener Sammelband „Der Mann mit der roten Krawatte“ (C. H. Beck) dokumentiert Golschiris Bruch mit traditionellen iranischen Erzähltraditionen. Aus Geschichten wurden detailversessene Fragmente, Assoziationen zum Zustand der Gesellschaft und zur eigenen Befindlichkeit. Golschiri kannte keine Grenzen, literarisch wie politisch: Zu Schah-Zeiten gehörte er zum Umfeld der kommunistischen Tudeh-Partei, später schalt er die Methoden der Partei als faschistisch.
Auch nach der Islamischen Revolution 1979 blieb er ein Verfolgter. Dem Regime der Islamischen Republik erschien der frei denkende Literat als permanente Gefahr. Dabei forderte Golschiri, der für die taz immer wieder über die politischen Verhältnisse in seinem Land berichtet hatte, nur eines: die Freiheit des Wortes. Golschiri engagierte sich über 30 Jahre im lange Zeit verbotenen Iranischen Schriftstellerverband und gehörte 1994 zu den Verfassern des „Textes der 134“, eines Aufsehen erregenden Aufrufes zur Legalisierung des iranischen Schriftstellerverbandes. Viele seiner Kollegen landeten im Gefängnis, Golschiri selbst wurde mehrfach vorübergehend festgenommen.
Golschiri war kein Radikaler, die Abschaffung der Islamischen Republik forderte er nur in kleiner Runde und erst nach dem soundsovielten Glas. Seine politischen Hoffnungen setzte er auf den Reformprozess. 1999 bei den Kommunalwahlen gingen er und seine Frau, die Übersetzerin Farsaneh Taheri, erstmals seit Jahrzehnten wieder zu den Wahlurnen. Sie wollten den reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami unterstützen, erklärten sie. Unter Freunden und Weggefährten löste das herbe Kritik aus: Jede abgegebene Stimme sei eine Stimme für die Islamische Republik. Golschiri tat diese Kritik sichtbar weh, weit mehr als Angriffe aus dem konservativen Lager.
Seinen größten Erfolg hatte Golschiri 1999. Erstmals trafen sich die Mitglieder des Schriftstellerverbandes zumindest halb legal in der Wohnung der Literatin Simin Behbahini zu einer Art Gründungsveranstaltung. Golschiri war zuvor persönlich im für Schriftsteller zuständigen Ministerium für Religiöse Führung und Kultur aufmarschiert. Der Minister galt als Reformer, Golschiri nahm ihn beim Wort.
Wenige Wochen später wurde der Schriftstellerverband offiziell legalisiert. Irans Konservative tobten über diesen Erfolg der Reformbewegung. Sie holten zum Gegenschlag aus. In den zurückliegenden Wochen wurden die meisten reformorientierten Medien verboten, Studentenführer, die im Verdacht standen, das System verändern zu wollen, verhaftet. Golschiri hat diese Rückschläge nicht mehr miterlebt, er lag seit Ende April zumeist im Koma. Sein Roman „Das Buch der Dschinne“ erscheint demnächst auf Deutsch.
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