: Die Frau, die nichts weiß
Vor dem Untersuchungsausschuss benahm sich Juliane Weber so, als sei sie im Kanzleramt nur Putzfrau gewesen
von JENS KÖNIG
„Es gibt nur zwei Menschen, die alles über mich wissen“, hat Helmut Kohl einmal gesagt, „meine Frau und die Juliane.“
Von wegen. Die Juliane weiß nichts. Gar nichts. Die Namen der anonymen Spender? Keine Ahnung. Bargeld in Kohls Tresor? Kann nicht sein. Illegale Finanzpraktiken bei der CDU? Nichts von gewusst. Finanzberater Horst Weyrauch bei Kohl? Nie gesehen.
Vor dem Parteispenden-Untersuchungsausschuss sitzt Juliane Weber, die ehemalige Sekretärin von Bundeskanzler Helmut Kohl. Schwarzer Pullover, weißer Blazer, dick aufgetragenes Kajal um ihre Augen. Die kleine, zierliche Frau versucht, furchtlos zu gucken. Es geht hier schließlich nicht nur um sie. Es geht vor allem um IHN. Um den Kanzler. Ihren Chef. Ihren Herrn. Ihren Helden. Da ist jedes Wort zu viel, weil es etwas verraten könnte, was die Damen und Herren Abgeordneten hier sowieso nicht verstehen, weil sie nicht dabeigewesen sind. Damals, als Kohl noch Kanzler und die Welt in Ordnung war.
Juliane Weber war Kohls Sekretärin. Das ist die Untertreibung des Jahres. Sie war Leiterin seines persönlichen Büros, Mitarbeiterin, Vertraute. Sie nahm an fast allen internen Runden wie der legendären Morgenlage beim Kanzler teil. Sie lernte an seiner Seite die Großen dieser Welt kennen. Sie machte seine Termine, schrieb seine Briefe, organisierte sein Büro. Sie war die Einzige, die das berühmte kleine schwarze Notizbuch, das Kohl ständig bei sich trug und das die Basis seines gefürchteten Elefantengedächtnisses war, in ihre Hände bekam. Sie platzierte unauffällig Süßigkeiten in seiner Nähe. Sie achtete darauf, dass sich der abends häufig auf Socken wandelnde Kanzler wenigstens Schuhe anzog, wenn wichtige Gäste kamen.
Sie war die Kanzlerin aller Vorzimmerdamen in Deutschland.
Genau aus diesem Grund hat sie der Untersuchungsausschuss vorgeladen. Die Abgeordneten wollen wissen, ob sie bei der CDU-Parteispendenaffäre auch wieder als Geldbotin unterwegs war, wie damals, während der Flick-Affäre. Ob sie dabei war, als Kohl Hunderttausende von Mark als Barspenden einstrich. Ob sie von vertraulichen Unterredungen ihres Chefs mit den CDU-Finanzjongleuren Terlinden und Lüthje weiß. Vor Jahren musste Juliane Weber schon einmal vor einen Untersuchungsausschuss. 1977 hatte sie beim Flick-Manager von Brauchitsch im Auftrag Kohls 30.000 Mark Spendengeld abgeholt.
Aber glauben die Mitglieder des Untersuchungsausschusses wirklich, sie würden von Juliane Weber etwas erfahren? Sie diente Helmut Kohl 36 Jahre lang. Immer schweigsam und loyal. Da sollte sie ausgerechnet jetzt auspacken? Sie sei „preußisch durch und durch, ein Pflichtmensch“, sagt Juliane Weber über sich selbst. Alte Vertraute des Kanzlers waren sich schon vor ihrem Auftritt einig: Selbst wenn sie etwas wüsste, würde sie nichts verraten, vor keinem Ausschuss der Welt, eher würde sie sich vierteilen lassen.
Frage vor dem Untersuchungsausschuss:
Frau Weber, wussten Sie von den illegalen Spenden an Helmut Kohl?
Nein, davon hatte ich keine Kenntnis.
Niemals?
Nach der Flick-Affäre stand für mich fest, künftig weder mittelbar noch unmittelbar mit Parteifinanzen in Berührung zu kommen. Auch Dr. Kohl wollte das so.
Hat Hans Terlinden bei Helmut Kohl jemals Geld abgeholt?
Davon weiß ich nichts.
Juliane Weber ist auf ihren Auftritt vor dem Ausschuss gut vorbereitet. Sie hat ihren Anwalt mitgebracht. Immer dann, wenn sie nicht weiter weiß, flüstert er ihr etwas zu oder schiebt kleine Zettelchen zu ihr herüber. Am Anfang gibt Juliane Weber eine vorbereitete Erklärung ab. Im Laufe der Vernehmung gibt sie zu, auch mit Helmut Kohl über ihren Auftritt vor dem Ausschuss geredet zu haben. Nein, Tipps oder Hinweise, wie sie sich verhalten solle, habe er ihr nicht gegeben, sagt sie.
Haben Sie mit Helmut Kohl über die illegalen Spendengelder gesprochen?
Nein, das war nicht meine Aufgabe.
Sie haben mit Kohl nicht ein einziges Mal darüber geredet?
Nein.
Sie haben ihn auch nicht auf sein Ehrenwort angesprochen?
Nein, ich kannte ja seine Einstellung.
Juliane Weber war seit 1964 in Kohls Mannschaft, länger als irgendwer sonst. Seit ihrer Einstellung begleitete sie den Chef auf allen Stationen seiner Karriere. Als sie sich kennen lernten, war Kohl Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz und baute sich gerade ein eigenes Büro auf. Sie, frisch verheiratet mit dem Finanzchef des ZDF, Bernhard Weber, kam vom Innenministerium in Mainz. Aufgewachsen ist sie im niedersächsischen Northeim. Dorthin, ins Haus ihrer Großeltern, war sie während des Krieges mit ihrer Mutter und vier Geschwistern aus Dresden geflüchtet. Ihr Vater war Werksdirektor und in der CDU aktiv. Sie sang im Bach-Chor und lernte Steno. Dann ging sie nach Mainz und traf dort im Landtag auf Helmut Kohl. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. Ihre Familien verbrachten sogar gemeinsam die Ferien.
Juliane Weber, vor Monaten noch voller Selbstbewusstsein und voller Kraft, als ihr Chef überall gefeiert wurde und seine Wahlniederlage wie ein Betriebsunfall erschien, wird im Verlaufe ihrer Vernehmung immer fahriger. Sie weiß oft nicht, wohin mit ihren Händen. Ihre Unerschrockenheit wirkt nur noch gespielt. Sie streitet fast alles ab, kann sich angeblich an nichts erinnern oder weiß von nichts. Oft widerspricht sie sich auch. Nachdem sie anfangs behauptet hatte, mit den Finanzen der CDU nichts zu tun gehabt zu haben, räumt sie später ein, vom Kanzleramt aus doch Spenden an die Partei weitergeleitet zu haben. Es seien jedoch nur kleine Beträge gewesen, die sie sofort weitergegeben habe. Nur einmal wird sie präzise: Als es um eine 100.000-Mark-Spende des Otto-Versands geht, verliest sie eine vorbereitete Antwort. Als sie dann über ihre Verstrickung in die Flick-Affäre befragt wird, antwortet sie wieder konfus. Der Ausschuss beschließt daraufhin, alle Kalender von Juliane Weber beschlagnahmen zu lassen. Es bestehe der Verdacht, dass sie in einzelnen Fragen die Unwahrheit gesagt habe. Außerdem soll sie vereidigt werden, falls sie nach Durchsicht des Vernehmungsprotokolls bei ihren Aussagen bleibt.
Vieles wissen Sie angeblich nicht mehr. Aber an die Flick-Affäre können Sie sich gut erinnern?
Nicht so gut. Aber ich weiß noch, dass ich damals vorgeladen worden bin.
Wussten Sie damals, was in dem Umschlag war, den Sie bei Brauchitsch abgeholt haben?
Nein. Ich habe den Umschlag nur entgegengenommen und an Herrn Dr. Kohl weitergeleitet.
Sie haben sich nicht denken können, was in dem Umschlag war?
Nein.
Sie haben früher behauptet, Sie hätten geahnt, was in dem Umschlag war.
Wann soll ich das gesagt haben?
1986.
Das weiß ich nicht mehr.
Die offizielle Stellung Juliane Webers im Kohlschen Machtsystem ist schwer zu beschreiben. Gerade deswegen jedoch passte sie wie kaum eine andere in dieses System. „Juliane Weber war die perfekte Vollstreckerin der ungeschriebenen Gesetze, die das Leben und Treiben in Kohls inneren Gemächern bestimmten, eine Hofdame neueren Zuschnitts, die nach Maßstäben funktionierte, die so altmodisch waren, wie die ihres Chefs“, schreibt Klaus Dreher in seiner Kohl-Biografie.
Eigenmächtigkeiten erlaubte sich die „Juliane“, wie sie von vielen genannt wurde, nicht. Sie war zwar eine der wenigen, die sich traute, den Chef zu kritisieren. Aber sie war nicht allmächtig, nur weil sie die Besucher des Kanzlers nach den Vorlieben und Abneigungen ihres Herrn sortierte. Wer beim Kanzler in Ungnade gefallen war, konnte bei Juliane Weber schon mal so lange ans Ende der Bittstellerliste gerückt werden, bis er wusste, dass er von Kohl nichts mehr zu erwarten hatte. Die sonst so hilfsbereite, herzliche Sekretärin konnte auch resolut und hart sein.
Dennoch: Viele ihrer Handlungen waren mehr Reflexe auf die Gemütslage des Chefs, schreibt Kohl-Biograf Klaus Dreher. Es ist müßig darüber zu spekulieren, wie groß ihr Einfluss auf die Einschätzung Kohls von Personen war. Die meisten gingen davon aus, dass ihr Einfluss groß war – und benahmen sich bei ihr entsprechend. Mit Juliane Weber wollte es sich keiner verderben.
Juliane Weber war meist unter Männern, und sie war die einzige Frau, die von ihnen akzeptiert wurde, weil sie ein bisschen so war wie die Männer selbst. Das hatte sie in der Pfalz mitbekommen: Damals zog sie mit den Männern, bei denen raue Sitten herrschten, durch die Bauernkneipen. Kurt Biedenkopf hält Juliane Weber für eine der wenigen Frauen, die „im Leben und in der Karriere Kohls eine Schlüsselrolle“ spielen, da sie die Einzige sei, die ihn „als Mann akzeptiert“.
Die hoch befähigte Büroleiterin wirkt vor dem Ausschuss mit zunehmender Dauer so, als sei sie im Kanzleramt nur Putzfrau gewesen. Der Ausschuss gibt nach 90 Minuten Befragung entnervt auf. Er hat nichts erfahren.
Juliane Webers Sternzeichen ist Krebs. „Krebsmenschen sind unheimlich personengebunden“, sagt sie. „Sie beißen sich fest und steuern den Kurs, den sie eingeschlagen haben, weiter, auf Biegen und Brechen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen