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lust und hingabe

In seiner 1748 erschienenen Erzählung „Die geschwätzigen Kleinode“ lässt Denis Diderot einen Sultan namens Mangogul auftreten, der gegenüber einem Geist seinen geheimsten Wunsch äußert: Die Frauen seines Palastes sollen völlig ungehemmt über ihre intimsten sexuellen Erlebnisse und Wünsche sprechen. Der Geist gibt ihm einen verwunschenen Ring, der genau diese Wirkung erzielen soll. Doch es sind nicht die Münder der Frauen, sondern ihre „bijoux indiscrets“, ihre Kleinode selbst, die das Geheime aussprechen werden – das weibliche Geschlechtsorgan als Subjekt seiner eigenen Diskursivierung. Mit Catherine Breillat versucht jetzt eine Regisseurin das magische Schmuckstück zum Sprechen zu bringen. Als pornografischer Diskurs über weibliche Sexualität löste ihr Film „Romance“ in Frankreich eine postfeministische Debatte aus. Breillats Heldin heißt Marie (Caroline Ducey). Sie liebt den eitlen Paul, der sie ebenfalls liebt, aber nicht mehr mit ihr schlafen kann (und/oder will) und sich im klinischen Ambiente eines völlig weiß eingerichteten Apartments verkapselt. Die Verschmähte wendet sich der nächtlichen Zufallsbekanntschaft Paolo (gespielt vom Pornostar Rocco Siffredi) zu. Paul/Paolo, Gefühl/Sex, Kopf/Körper – vom asexuellen zum brünftigen Mann, dessen Erotik Marie aber auch nicht zu ihrer Sexualität führt. Auftritt Robert. Der Supercasanova (10.000 Frauen) und Magier verschafft Marie mit behutsamen rituellen Fesselungen eine Lust, bei der sie zum ersten Mal Hingabe erlebt. Am Ende wird Marie zu einer modernen Maria, der mit ihrer Schwangerschaft symbolisch die unbefleckte Empfängnis widerfährt. Psychoanalytische, theologische und kunstgeschichtliche Verweise, Unterwerfungsfantasien, Pornografie, feministische Theorie und Emanzipation durch Gebären – Catherine Breillats Patchwork der Diskurse hält für jeden etwas bereit. nicFOTO: ARTHAUS

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