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Mit Gottes Segen

Drei homosexuelle PfarrerInnen aus Frankfurt am Main über ihr Leben, notiert

von SYLVIA MEISE

Wenn man am Pfarrhaus klingelt, schnippelt Olaf Lewerenz vielleicht gerade an den Rosen und sein Freund Gunter Volz bittet in den Garten. Eine grüne Idylle, eingerahmt von Himbeeren, Lilien, Kirschen und Basilikum. Volz ist Gemeindepfarrer in einem Frankfurter Vorort, Lewerenz Schulpfarrer in einem Gymnasium der Innenstadt und – sie sind ein Paar.

Geht das: Unversteckt schwul und Pfarrer sein? Als Volz die Pfarrstelle angeboten wurde, hat er sich direkt zu seiner Homosexualität bekannt und bei dieser Gelegenheit auch klargestellt, dass er mit seinem Freund zusammenleben will. Das mussten die Gemeindemitglieder samt Kirchenvorstand erst mal zwei Abende bekakeln. „Am Ende“, freut sich Volz, „haben sie mit Mehrheit entschieden, dass ich hier bleiben kann.“

Auch Sabine Fröhlich, stellvertretend für lesbische Pfarrerinnen befragt, hat von vornherein gesagt, dass sie Lesbe ist. „Selbstbewusstes Auftreten bringt viel mehr an Akzeptanz, als dieses Rumgeeiere“, fasst sie ihre Erfahrung zusammen. Sie würde gern mit ihrer Freundin zusammenleben, aber da sie beide beruflich an verschiedene Orte gebunden sind, geht das derzeit nicht.

Wenn Kirche die Sexualität eines Pfarrers akzeptiere – ein evangelisches Pfarrhaus hat nach traditionellem Verständnis viele Kinder – dann, schließt Gemeindepfarrer Volz, kann sie auch schwule oder lesbische Pfarrer und Pfarrerinnen akzeptieren. Und das tut seine Kirche. Es gibt bei den deutschen Protestanten schätzungsweise dreitausend homosexuelle Pfarrer.

Aber ist deshalb schon alles ganz normal? Noch nicht ganz. Ein bisschen exotisch sei das immer noch, geben Volz und Lewerenz zu. Je nach Tagesform des Einzelnen kann eine harmlose Frage zum Volltreffer werden: „Hast du einen Mann?“, wurde Pfarrerin Fröhlich im Kindergarten gefragt. „Nein.“

Die Antwort fiel knapp aus. „Da ist mir erst mal ganz schön heiß geworden.“ Doch warum sich gerade den Kindern gegenüber verstellen? Bei der nächsten Gelegenheit antwortete sie fest: „Nein, ich habe eine Frau.“

So unverblümt, wie Kleine fragen, kann man mit ihnen auch über alles reden. Jugendliche dagegen erwarten, dass Männer und Frauen sich den herkömmlichen Rollenaufgaben entsprechend verhalten. „Ich muss schon damit rechnen, dass die mir Schwuli hinterherrufen“, unterstreicht Volz. Je nach Verfassung reagiere er gar nicht oder geht mit der Frage, ob sie damit Probleme hätten, auf die Betreffenden zu. „Wenn ich das so deutlich sage, kommt in der Regel nichts mehr.“

Auch wenn es nervt, als Homosexuelle müssen sie damit leben, dass es nicht heißt: Das ist der Lewerenz, „der macht gute Themen“, oder: das ist „der mit der Brille“, sondern „der ist schwul“. Hätte jeder einen Menschen, den er kenne, also Briefträger, Nachbarin oder Onkel „als Schwule oder Lesbe zum Anfassen“, dann gäbe es weniger Probleme, davon sind die Pfarrer überzeugt.

Dass sich Kirche in den letzen 25 Jahren geöffnet hat, ist sicher auch ein Verdienst der Organisation „Homosexuelle und Kirche“ (HuK). Trotzdem gibt es noch immer „Beurlaubungen“ oder andere verdeckte Strafen, Unstimmigkeiten und Benachteiligungen. Insgesamt jedoch sind Fröhlich und das Paar Volz/Lewerenz zufrieden mit der Entwicklung in ihrer Kirche. Es gebe zwar keinen offiziellen Beschluss, moniert Fröhlich – was bedeutet, jeder muss in der konkreten Situation selber klarkommen –, aber die Vorgesetzte der drei Frankfurter, Pröpstin Helga Trösken, stärkte ihnen von Anfang an den Rücken.

Die Bilanz von fünf beziehungsweise siebeneinhalb Jahren Pfarrdienst durch einen schwulen Mann, eine lesbische Frau, gibt der Pröpstin Recht: Weder hätten sich Kirchenaustritte gehäuft noch seien Gottesdienste leerer geworden. Im Gegenteil, Fröhlich hat mit ihrem „ökumenischen Gottesdienst für Lesben und Schwule“ neue Besucher angelockt. „Die Leute kommen aus dem gesamten Rheinmaingebiet“, hat sie registriert. Kein Wunder, außerhalb von Städten wie Frankfurt am Main ist es noch immer problematisch, als bekennende Homosexuelle zu leben.

Rein äußerlich bilden bei Sabine Fröhlich Kirche, Pfarrhaus, Altenheim, Kindergarten und Gemeindehaus einen Komplex, ein kirchliches Zentrum mitten im Stadtteil. Drei Pfarrer teilen sich die Seelsorge in dieser Gemeinde. Volz/Lewerenz’ Pfarrhaus ist da eigenständiger. Sie leben „auf der Insel der Glückseligen“, wie sie selbst finden. Natürlich war die Neugierde darüber groß, wie es wohl im Pfarrhaus bei den Schwulen aussieht.

So viel war klar: keine Pfarrfrau, keine Pfarrerskinder, aber was dann? Diese Neugier haben die beiden genutzt und einfach die Leute hin und wieder eingeladen. „Natürlich ist das ein Stoff, an dem man sich leicht aufregen kann“. Aber: „Die Leute regen sich auch wieder ab.“ Volz konstatiert, „mit der Zeit entsteht so was wie Normalität.“ Und dann schaut man nicht mehr, mit wem geht der ins Bett, sondern, ob der Vorgarten ordentlich aussieht.

Und da gibt es – dank Lewerenz – nichts zum Tratschen. Was jedoch immer drohend über ihnen als Erzieher und Lehrer hänge, sei der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Eine „Anschwärzung“ gab es bereits, die aber nicht haltbar war. Wie auch immer, nach dem Motto „Irgendwas bleibt hängen“, klopft Lewerenz bei Klassenfahrten lieber dreimal ans Jungenzimmer, bevor er reingeht. „Wo wahrscheinlich ein Heterokollege überhaupt keine Probleme hat“, vermutet er. „Wenn es laut ist, reißt der die Tür auf und geht rein.“

Trotzdem: „Uns geht es hier so gut.“ Volz weiß, das könnte in einem anderen Stadtteil von Frankfurt schon ganz anders aussehen. „Deshalb überlegen wir manchmal, was könnte denn passieren.“ Eines der möglichen Probleme: „Wenn jetzt irgend jemand von unseren Konfirmanden oder Jugendlichen auch schwul würde“, überlegt Lewerenz, könnte es heißen: „Seht ihr, das liegt an diesen Pfarrern. Was natürlich Quatsch ist. Wenn jemand schwul oder lesbisch wird, dann kann er sich hier vielleicht eher artikulieren, aber deswegen wird ja niemand schwul oder lesbisch.“

Für die Zukunft wünschen sich alle drei „die Segnung“. Neben rechtlichen Aspekten wie Testament, Erbschaft und Besuchsrecht im Krankenhaus sei es vielen einfach wichtig, eine öffentlich anerkannte Beziehung zu führen. Auch für die innere Stärkung des Zusammenlebens. Sabine Fröhlich meint, derzeit stünden die Zeichen für die Segnung günstig. Lewerenz kommentiert: „Im Moment diskutieren die Landeskirchen, ob sie das erlauben.“

Nicht verstehen kann er die Argumentation, dass der Trauung dadurch etwas weggenommen würde. „Wieso wird einem Ehepaar, das sich trauen lässt, etwas weggenommen, wenn auch Schwule und Lesben die Möglichkeit haben, sich segnen zu lassen?“ Und sein Mann ergänzt: „Zumal Ehe und Trauung nach evangelischem Verständnis keine besondere religiöse Würde haben.“ Die Ehe sei, nach Luther, „ein weltlich Ding“. Normalerweise würde beim Traugottesdienst sowieso für bereits Verheiratete um den Segen Gottes gebeten. Und das schließe doch nicht aus, „dass andere Leute in anderen Lebenssituationen auch um ihn bitten können“.

Lewerenz war früher gegen die Segnung. Er befürchtete, man würde damit Lesben und Schwule erster und zweiter Klasse produzieren. Mittlerweile hält er die Segnung für wünschenswert und diesen Sommer für einen guten Zeitpunkt: „Jetzt sind wir fünfzehn Jahre zusammen.“ Manche argumentieren mit Bibelzitaten gegen die Segnung – kirchliche Fundamentalisten machen es kurz: Sie halten Homosexuelle schlicht für krank. „Mit denen kann man nicht reden“, wischt Fröhlich den Hass der Fundis zur Seite.

Mit der Bibel allerdings hat sie sich selbst auseinandergesetzt: Auch Reinheitsgebote zu beachten seien Forderungen des Alten Testaments. „Wer aber lebt koscher? Wer macht das denn heute? Diese Textstellen sind Menschenwort, kulturell bedingter Zeitgeist“, sagt sie und stützt sich auf die Botschaft von Jesus: „Der äußert sich dazu nicht, und das ist auch nicht verwunderlich, denn sein Auftrag war, den Menschen zu helfen, einander in Liebe zu begegnen. Und wenn es um Liebe geht, finde ich, muss man in der Bibel Menschenwort und Gottes Wort trennen.“

SYLVIA MEISE, 38, Journalistin in Frankfurt am Main, schreibt Genderreportagen für die taz

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