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Aufstehen für Jürgen W.

Zunächst mit kühler Zurückhaltung empfangen, schaffte es Jürgen Möllemann mit seiner Rede auf dem Parteitag der Freien Demokraten in Nürnberg am Ende doch, die allermeisten Delegierten mitzureißen

aus NürnbergBETTINA GAUS

Früher waren stehende Ovationen selten und ein Zeichen ungewöhnlich großer Zustimmung. Inzwischen gehören sie zum Ritual jedes Parteitags – und nun gibt es etwas sehr Merkwürdiges: gelangweilten und pflichtschuldigen Jubel. Der wurde gestern dem FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt nach seiner Rede auf dem Nürnberger Parteitag zuteil. Und es gibt widerwilligen Beifall, eine Begeisterung, von der sich Zuhörer eigentlich nicht mitreißen lassen wollen und gegen die sie irgendwann doch nicht mehr anzukämpfen vermögen. Die konnte wenig später sein innerparteilicher Gegenspieler Jürgen Möllemann genießen, der Sieger der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Die Rede von Wolfgang Gerhardt werde über das politische Schicksal des intern umstrittenen Vorsitzenden entscheiden, war im Vorfeld des FDP-Parteitags immer wieder zu hören gewesen.

Der Parteichef ließ keinen Zweifel daran, dass er das genauso sah. Er bekräftigte seinen Führungsanspruch und setzte sich gegen Kritiker mit deutlichen Worten zur Wehr. Eine sinnlose Vergeudung von Kraft sei es, wenn dem Vorsitzenden gegen das Schienbein getreten werde. „Viele spüren, dass das uns allen schadet. Wir können Wahlen nur gemeinsam gewinnen.“ Das sind Sätze, denen Delegierte im Allgemeinen nicht widersprechen. Wie denn die ganze Ansprache von Gerhardt wenig enthielt, was FDP-Anhänger zum Widerspruch reizen könnte – aber eben auch wenig Freude über die jüngsten Erfolge bei Landtagswahlen vermittelte. Brav arbeitete der FDP-Chef die Palette politischer Themen ab und stellte die Positionen seiner Partei dazu dar: Rente, Steuer, Mittelstand, Österreich, Bildung, Gesundheit, Einwanderung. Und vieles mehr. Mit Angriffen auf die politischen Gegner, vor allem auf die grüne Konkurrenz, war die Rede gespickt, und oft war von Eigenverantwortung, Freiheit und Leistungsbereitschaft die Rede. „Deutschland hat eine Alternative. Es ist die Freie Demokratische Partei. Für die stehe ich.“ Ebenso vorhersehbar wie korrekt. So reagierte dann eben auch das Publikum: Mit korrektem Jubel. Und dann kam die Aussprache über die Rede des Vorsitzenden, und damit Jürgen Möllemann. Von der Herzlichkeit, mit der Wahlsieger auf Parteitagen empfangen werden, konnte zunächst keine Rede sein. Zurückhaltend, fast kühl beobachteten die Delegierten, wie der Mann ans Pult trat, der in den letzten Wochen offen die Führungsqualitäten des Parteichefs bezweifelt, einen grundlegenden Kurswechsel der aus seiner Sicht allzu eng mit der CDU verbundenen FDP gefordert und öffentlich das vielen als irrational hoch erscheinende Wahlziel von 18 Prozent in die Diskussion gebracht hatte. Nett, dass er der FDP einen so schönen Erfolg beschert hat, aber nun soll er bloß keinen Ärger machen: das schien die Stimmung im Saal zu sein. Aber Jürgen Möllemann hat Erfahrung damit, ein Publikum auf seine Seite zu ziehen. Dem Wunsch nach innerem Frieden kam er nicht entgegen.

Auf das Podium hatte er ein Schild mitgebracht. Darauf stand in blauer Schrift vor gelbem Grund nur eine Zahl: 18. Möllemann hielt das Schild in die Kameras. Dann klebte er es vor sich aufs Rednerpult. Dort klebte es dann fest. Auch nach seinem Abgang. Wolfgang Gerhardt ist gerade dann unbeholfen, wenn er sich um Anpassung an die vermeintlichen Gesetze der Mediengesellschaft bemüht. Eine Sonnenblume aus Pappe entblätterte er während seiner Rede, um so den Niedergang der Grünen zu symbolisieren, und er sah dabei hilflos und ein bisschen unglücklich aus. Jürgen Möllemann hingegen ist erst dann richtig in seinem Element, wenn viele Kameras auf ihn gerichtet sind. Er kann das, was seinem Parteivorsitzenden so schwer gelingt: die Zuhörer mitreißen. Ein dummes Argument sei es, dass die FDP ihre Siege nur dem schlechten Zustand der CDU verdanke. Am Fußball zeige sich doch, dass es nichts nütze, wenn Rumänien schlecht spiele, „wenn unsere eigenen Lahmärsche nicht in der Lage sind, ein Tor zu erzielen“. Da tobte der Saal. Das Eis war gebrochen. Bei weitem nicht alle Delegierten sind nach Möllemanns Rede aufgestanden. Aber die große Zahl derer, die ihm stehenden Beifall spendeten, lässt ahnen: Der Machtkampf ist nicht entschieden, allenfalls vertagt. Im September findet ein Sonderparteitag der FDP statt. Offizielles Thema: Die Zukunft der Bundeswehr.

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