: Der Mehmet von Berlin
CDU-Innensenator nutzt den Prozess gegen den 16-jährigen Erdal A., um die Abschiebung von Straftätern zu forcieren. Grüne sind gegen Ausweisung von Inländern mit ausländischem Pass
von PLUTONIA PLARRE
Der wegen versuchten Mordes vor Gericht stehende 16-jährige türkische Jugendliche Erdal A. ist auf dem besten Wege, ein Berliner Mehmet zu werden. Der wahre Mehmet ist in Bayern aufgewachsen. Weil er als strafunmündiges Kind mehr als 60 Straften begangen hatte, wurde er 1998 in die Türkei abgeschoben, kaum dass er mit 14 Jahren erneut einen Raubüberfall verübt hatte.
Ähnlich wie dem bayerischen Mehmet soll es dem in Berlin aufgewachsenen Erdal A. ergehen. Das versucht zumindest Innensenator Eckart Werthebach (CDU) durchzusetzen. Erdal A. und dessen gleichaltriger Freund Taner D. stehen seit Anfang der Woche wegen des Vorwurfs vor Gericht, am 20. Januar einen Frisörgehilfen in Spandau mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben. Für Werthebach und die CDU, die die Innere Sicherheit nur allzu gern auf Schlagworte wie „kriminelle Ausländer“ und deren Abschiebung verengen, ist der Fall Erdal A. ein gefundenes Fressen.
„Solche Straftäter wie Erdal A. gehören nicht in unsere Gesellschaft“, hatte Werthebach bereits im Januar erklärt, kaum dass die beiden türkischen Schüler festgenommen worden waren. „Aufgrund seiner Struktur scheint der Täter weder integrationsfähig noch integrationswillig.“ Für populistische Themen hat der Innensenator, der sich mit seiner Forderung nach einem Demonstrationsverbot in der Innenstadt bei der Autolobby eingeschmeichelt hat, ein gutes Gespür.
Der Prozess gegen die beiden Jugendlichen wird heute fortgesetzt. Die Tat ist kein Kavaliersdelikt. Sie geschah in einem Frisörladen in Spandau. Dem Angriff mit dem Messer war ein Streit vorausgegangen. Weil sich der Inhaber des Ladens weigerte, der Familie von Erdal A. weiter wie bisher verbilligt die Haare zu schneiden, soll Erdal A. den Chef zusammengeschlagen haben. Am 24. Januar sollte es deshalb zum Prozess gegen den Jugendlichen wegen Körperverletzung kommen. Am 20. Januar, vier Tage vor dem Gerichtstermin, kreuzten Erdal A. und Taner D. in dem Frisörgeschäft auf. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Erdal A. mindestens viermal auf den Frisörgehilfen einstach, um den Mann, der Zeuge in dem Prozess sein sollte, auszuschalten. Der Gehilfe konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Nicht genug damit, soll wenige Stunden später Erdal A. einen Busfahrer mit Tränengas angegriffen haben, als dieser nach der Fahrkarte fragte.
Aufgrund des jugendlichen Alters der Angeklagten findet die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das hindert die Presse jedoch nicht daran, fast täglich über den Fall zu berichten. Dies liegt auch in Werthebachs Interesse. Am Montag legte er im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses noch einmal nach, in dem er erneut die schnellstmögliche Abschiebung von Erdal A. forderte. Der Innensenator ließ keinen Zweifel daran, dass er den Jugendlichen am liebsten gleich nach dem Urteil zur Strafverbüßung in die Türkei schicken würde. Da dies aufgrund eines fehlenden internationalen Abkommens aber nicht möglich ist, kündigte er an, Erdal A. sofort nach dem Ende seiner Haft abzuschieben.
Dass Werthebach in dem Fall stets von einer „Abschiebung“ statt von einer „Ausweisung“ spricht, ist wohl kalkuliert. Ab einer bestimmten Strafhöhe kann die Ausländerbehörde einen verurteilten Täter nach Verbüßung der Haft des Landes verweisen. Wenn der Täter nach der entsprechenden Aufforderung der Ausländerbehörde freiwillig ausreist, darf er später die Wiedereinreise beantragen. Folgt er der Aufforderung nicht, wird er abgeschoben und darf nie mehr zurück. „Wir reden von Abschiebung, weil wir davon ausgehen, dass Erdal A. nicht zustimmt“, erklärte Innensenatssprecher Stefan Paris weit vorausschauend.
Die Forderung, ausländische Straftäter gleich nach dem Urteil zur Strafverbüßung in ihr Heimatland zu überstellen, ist nicht neu. Nach gegenwärtiger Gesetzeslage geht dies nur mit Zustimmung des Verurteilten. Das Bundesjustizministerium hat aber einen Entwurf ausgearbeitet, der eine Überstellung ohne Zustimmung vorsieht. Der Entwurf wird zurzeit von der rot-grünen Koalition diskutiert. Die Bündnisgrünen wollen nach Angaben des rechtspolitischen Sprechers Volker Beck aber nur dann zustimmen, „wenn Inländer mit ausländischem Pass von der Regelung ausgenommen werden“.
Inländer mit ausländischem Pass ist auch Erdal A. Die Strafe und Resozialisierung müssten an dessen Lebenmittelpunkt, also in Berlin, erfolgen, fordert der migrationspolitische Sprecher der Berliner Grünen, Hartwig Berger. „Die Fehler im Fall Mehmet in München dürfen sich in Berlin nicht wiederholen.“
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