: Der Preis des Erfolgs - Schwulsein ist schick
■ Schwulsein ist derzeit hip. Für die Arbeit der Aids-Hilfe ist das nicht unproblematisch. Ein Interview
Bremen ist klamm – das bekommen vor allem die sozialen Einrichtungen zu spüren. Sieben MitarbeiterInnen haben zurzeit die beiden Bremer Beratungstellen Aids-Hilfe und Rat & Tat-Zentrum. Eine halbe Stelle ist bereits dem Rotstift zum Opfer gefallen, bis 2005 soll der Etat von Aids-Hilfe und Rat & Tat von derzeit 700.000 Mark auf 500.000 Mark zurückgeschraubt werden. Wenn Thomas Fenkl und Arnold Arkenau gerade mal nicht damit beschäftigt sind, PolitikerInnen von der Kurzsichtigkeit dieser Kürzungen zu überzeugen, machen sie Präventionsarbeit für die Aids-Hilfe. Im taz-Interview erläutern sie, dass sich ihr Job nicht nur wegen der Finanznöte in den letzten Jahren dramatisch verändert hat.
Hat sich die Aids-Präventionsarbeit verändert?
Arnold Arkenau: Sehr sogar. Immer mehr junge Leute kommen auf die einschlägigen Partys, die nicht mehr entschieden schwul sind. Die Partys sind zurzeit hip, das Angebot schwullesbischer Partys hat sich in Bremen in den letzten drei Jahren verfünffacht. Was dann im Laufe des Abends entsteht, entsteht halt. Diese Männer – es sind überwiegend Männer – entscheiden spontan, ob sie schließlich mit einer Freundin oder einem Typen nach Hause gehen.
Thomas Fenkl: Das ist so ein bisschen der Preis des Erfolgs der Schwulenbewegung. Mitte der 70er Jahre war unsere Grundforderung, man muss als schwules Pärchen Hand in Hand durch die Straßen gehen können, ohne verprügelt zu werden. Mittlerweile ist das Alltag und die jungen Schwulen heute gehen daher nicht mehr in die klassische Schwulenszene, sondern dort hin, wo junge Leute, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, halt so hingehen. Als junger Schwuler braucht man nicht mehr den geschützten Rahmen einer Schwulenbar. Mehr noch: In vielen Szenen gilt es inzwischen geradezu als schick, sich schwul zu zeigen.
Diese Partybesucher sind tatsächlich nicht schwul, oder stehen sie nicht zu ihrem Schwulsein?
Fenkl: Die machen um diese Frage einfach nicht so ein Gewese wie wir damals. In unserer Generation war das Coming Out ein Prozess, richtete sich etwa gegen die Gesellschaft, gegen die Eltern. Heute bezeichnen sich die jungen Schwulen oft gar nicht mehr als schwul. Früher stellten wir uns vor mit: „Hallo, ich bin schwul und heiße Thomas“, heute heißt es eben nur noch: „Ich heiße Thomas“.
Arkenau: Schwulsein ist im Partybereich momentan so schick, dass die Lust um sich greift, das einfach mal auszuprobieren. Dafür ist eine Party das ideale Experimentierfeld.
Welche Konsequenzen hat dieses veränderte Verhalten für die Arbeit der Aids-Hilfe?
Fenkl: Wenn man die Schwulen früher erreichen wollte, musste man die zehn schwulen Szeneläden abklappern und konnten sicher sein, alle mit unseren Infos erreicht zu haben. Wenn man heute die jungen Schwulen erreichen will, brauchst du die Szene nicht mehr besuchen, weil du da nur noch alle ab 35 aufwärts antriffst.
Arkenau: Junge Schwule trifft man auf den üblichen Partyzonen zwischen Capri-Bar und Modernes. Denen ist es egal, ob da die Szene präsent ist. Die Zeit, wo diese Szeneanbindung wichtig war, ist definitiv vorbei.
Wenn die Aids-Hilfe in diesen vorab nicht als Szenetreffs definierten Räumen mit einem Stand auftaucht, reagieren die Leute dann nicht genervt?
Arkenau: Die Reaktion ist anders. Gerade bei den großen Partys wie jüngst der Techno/House-Event „Vision-Park 2000“ war die Reaktion überwiegend positiv. Ich war darüber beinahe schon irritiert, zumal wir nicht bloß hinter unserem Stand standen, sondern uns unter die Leute gemischt und sie direkt angesprochen haben.
Fenkl: Unsere Stände haben sich aber auch geändert. Früher standen wir mit dem Tapeziertisch da und haben die Infomappen ausgelegt. Heute ist das alles viel mehr auf Spaß ausgerichtet. Du musst irgendwas bieten, um bei den Leuten wenigstens ein bisschen was zu erreichen. Früher war es häufig so, dass sich die Leute an den Ständen gezielt über HIV/Aids informiert haben. Heute nehmen die Leute allenfalls am Rande irgendwas mit und irgendwann mal macht es vielleicht „klick“ und sie erinnern sich und rufen vielleicht mal an oder so. Die Aids-Hilfe wird als reine Service-Station betrachtet, wo man Infos abgreift ohne Interesse an einer längerfristigen Einbindung.
Ist vielleicht der allgemeine Informationsstand bei den jungen Leuten durchweg höher als früher, so dass der Bedarf nach Aufklärung niedriger ist?
Arkenau: Im Gegenteil glaube ich, dass der Grad an Informiertheit wieder niedriger wird. Gerade weil bei jungen Leute die harte Konfrontation mit an Aids gestorbenen Freunden ja überwiegend fehlt – für unsere Generation hingegen gilt ja noch: wir haben alle Freunde gehabt, die an Aids gestorben sind – , verliert diese Krankheit ihren Schrecken. Zudem dominiert der Irrglaube, Aids sei bald eine medikamentös heilbare Krankheit. Vor diesem Hintergrund verliert der Präventionsgedanke an Bedeutung.
Fenkl: Gerade in der Szene der „Party-Schwulen“ ist das zu beobachten. Da dominiert die Haltung: „Wir sind alle jung und hübsch, und der ist auch jung und hübsch und kann somit gar nicht krank sein“. In dieser Gruppe ist das Infektionsrisiko wieder höher als bei den Schwulen, die bewusst die Anfänge des Aids-Zeitalters durchlebt haben. Für junge Schwule etwa geht es primär um Spaß, und die interpretieren das auch anders als frühere Generationen. Partys zum Beispiel dauern viel länger als früher bei uns – zwei bis drei Tage Party am Stück, begleitet von üppigem Ecstasy-Konsum: Da gehen alle Grundsätze des Safer Sex schließlich über Bord ...
Während der CSD-Parade in Oldenburg soll erstmals mit einer „Krachminute“ der Aids-Toten gedacht werden. Warum diese Form?
Arkenau: Üblicherweise gedenkt man ja mit einer Schweigeminute. Das ist uns aber zu negativ. Wenn ich mich an verstorbene Freunde erinnere, dann ist mir nicht nach Schweigen, ich möchte vielmehr etwas dazu sagen. Momente, in denen man einfach nur inne hält, gibt es oft genug.
Fenkl: Die Idee der Krachminute ist schon 1988 entstanden auf dem 2. Europäischen HIV-Positiven-Treffen in München und hat seitdem auf den Positiven-Treffen Tradition. Bei der CSD-Parade in Oldenburg kommt hinzu, dass die Glocken der St. Lamberti-Kirche in der Zeit dazu geläutet werden. Das ist insofern bemerkenswert, als dass diese Glocken seit dem Krieg nicht mehr für außerkirchliche Anlässe geläutet worden sind.
Fragen: zott
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