: Väter abwesend, Mütter überlastet
Ministerin Bergmann: Allein Erziehende gehören heute zur Normalität – tragen aber ein hohes Armutsrisiko und leiden unter Zeitmangel. Männer dürfen nicht „zu Transitreisenden im Leben der Frauen und Kinder“ werden. Tagung zu allein Erziehenden
aus BerlinBARBARA DRIBBUSCH
Was heißt eigentlich „allein erziehend“? Versteht man darunter die schlecht qualifizierte dreifache Mutter, die von Sozialhilfe lebt? Oder denkt man dabei auch an die Mutter und Ärztin, die mit einem neuen Lebenspartner zusammenwohnt? Zählt dazu nicht auch der Lehrer, der nach der Scheidung mit seinem pubertierenden Sohn die Wohnung teilt? Allein erziehend, das ist eine „neue familienmäßige Normalität“, betonte gestern Bundesfamilienministerin Christine Bergmann. Aber allein Erziehende tragen mehr Lebensrisiken als andere Familien.
Der besonderen Lebenssituation allein Erziehender widmete sich gestern eine Tagung in der Berliner Humboldt-Universität. Fast jeder sechste Haushalt mit Kindern wird inzwischen von allein Erziehenden geführt. 85 Prozent aller allein Erziehenden sind Frauen. In der Öffentlichkeit würde man vor allem die Defizite der so genannten Ein-Eltern-Familien sehen, sagte Bergmann. Dabei hätten Ein-Eltern-Familien auch Ressourcen: Die Selbstständigkeit der Kinder sei oft besonders ausgeprägt, ebenso die enge Verbundenheit der Kinder untereinander.
Genau wie viele „normale“ Familien leiden Ein-Eltern-Familien jedoch unter der inneren oder äußeren Abwesenheit der Väter. Man müsse verhindern, dass „die Männer potenziell zu Transitreisenden im Leben der Frauen und der Kinder werden“, meinte Bergmann.
Durch die Mehrfachbelastung der tatsächlich allein Erziehenden wiederum entsteht eine chronische Zeitnot. Die Ministerin wies darauf hin, dass viele allein Erziehende nicht nur unter materieller Armut, sondern auch unter „Zeitarmut“ litten.
25 Prozent der allein Erziehenden mit minderjährigen Kindern leben von Sozialhilfe. Oft wird der Unterhalt von den Vätern nicht gezahlt. Genauere Zahlen zu säumigen Unterhaltspflichtigen werden gerade erhoben. Der „Karriereverzicht“ vieler allein Erziehender schlägt sich nicht nur in Sozialhilfebezug und unterdurchschnittlichen Arbeitseinkommen nieder. Vielen allein Erziehenden droht Altersarmut, so ergab eines Studie des Bundessozialministeriums.
Die zur Tagung geladene allein erziehende Gisela Maubach aus Düren beschrieb den Armutskreislauf: Sie ist Mutter zweier Kinder, ein Sohn ist behindert. Da sie wegen der Betreuung des Sohnes keine Arbeit annehmen könne, bleibe sie nicht nur jetzt, sondern auch im Alter auf Sozialhilfe angewiesen. Die Tochter wird damit später automatisch unterhaltspflichtig gegenüber der Mutter. Der Tochter werde so „schon am eigenen Beispiel vermittelt, dass selbst gute Kindererziehung keine anerkannte Leistung darstellt“, klagte Maubach.
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