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DerUnbezahlbare

Ein Helmut Kohl gibt nicht, er nimmt höchstens. Politische Entscheidungen sind von ihm für Geld nicht zu kriegen. Wer ihm Bestechlichkeit vorwirft, will sein Lebenswerk in den Dreck ziehen: Der Exkanzler klagte an und verteidigte sich

aus BerlinKARIN NINK und TINA STADLMAYER

Missbilligend blickt er in das Heer der Fernsehleute. Lässt das Klacken und Klicken der Fotoapparate leicht genervt über sich ergehen. Sortiert ein paar Akten und gibt der Serviererin unaufgefordert Anweisung, wohin sie das Glas Wasser zu stellen hat. Allein diese nebensächliche Geste zeigt: Der Mann ist es gewohnt, Order zu geben.

Es tritt auf: Helmut Kohl, der Mann, der bis vor wenigen Monaten damit rechnen konnte, als verdienstvoller Architekt der Wiedervereinigung Deutschlands, Baumeister am Haus Europa, ränkevoller Rekordkanzler und selbstherrlicher, unangefochtener Führer seiner Partei in die Geschichtsbücher eingehen zu können – als ein Mann, der eine Epoche der Bundesrepublik und Europas geprägt hat. Der Mann, der so gern vom Mantel der Geschichte geschwärmt hat, steht inzwischen für einen Parteispendenskandal ohnegleichen in der bundesdeutschen Geschichte.

Das Lamento

Helmut Kohl ist vorgeladen vom Untersuchungsausschuss des Bundestags. Sein lang erwarteter Auftritt beginnt mit einer einstündigen Erklärung, uneinsichtig, unbelehrbar, einem Lamento mit dem immer gleichen Refrain: Hier soll das Lebenswerk des großen Staatsmannes und Europäers Helmut Kohl diskreditiert werden. Vor der Verteidigung kommt die Anklage: Anklage gegen die Ausschussmitglieder der Koalition, die ihn erst sieben Monate nach Beginn des Skandals anhören. Das das sei der Versuch, „16 Jahre gute Kanzlerschaft in die Dunkelheit abzudrängen“. Anklage gegen die Presse, die „in einem Akt beispielloser Diffamierung“ versucht habe, ihn „zu kriminalisieren“. Auch die Staatsanwaltschaft Bonn und das heutige Kanzleramt werden beschuldigt. Sie hätten „aufgrund eines anonymen Pamphlets“ ein Verfahren gegen ihn in Gang gesetzt.

Einem absolutistischen Monarchen gleich, formuliert er seine Verschwörungstheorie: Gegnerische Politiker, Medien und die Justiz wollen sein Lebenswerk zerstören. Vor dem Gesetz sind alle gleich, nur Kohl ist gleicher. In diese Logik passt es auch, dass er sagt: „Ich denke nicht daran, Ihnen die anonymen Spender zu nennen.“ Um gleich eins draufzusetzen: „Was mit mir geschieht, gibt eine Ahnung von dem, was mit den Spendern geschehen würde.“ Kohl das Opfer.

Er hat sich akribisch vorbereitet. Er, der dafür bekannt war, kein großer Freund von Akten zu sein, hat sich durch Berge von Urkunden gewühlt. Er kann aus den Berichten vorangegangener Untersuchungsausschüsse genauso korrekt zitieren, wie aus verschiedenen Zeitungsberichten. Sein Anwalt, Stephan Holthoff-Pförtner, sitzt neben ihm. Er greift selten ein. Erst als die ersten Fragen nach der Verwendung von Spendengeldern gestellt werden, verweist der Anwalt auf das Auskunftsverweigerungsrecht seines Mandanten: „Dazu sagt er nichts.“ Manchmal sagt er dann doch was: „Haben Sie den Spendern ihr Ehrenwort gegeben?“, will Ausschussvorsitzender Volker Neumann wissen. „Mein Wort, das ist für mich ein Ehrenwort“, ist die Antwort. Auch zu der Flick-Parteispendenaffäre, bei der Kohl in den 80er-Jahren schon einmal in Schwierigkeiten gekommen war, schweigt er. „Ich gebe dazu keine Erklärung angesichts dessen, dass der Staatsanwalt gegen mich ermittelt.“

Auf die meisten Fragen antwortet Kohl jedoch ausführlich. Er redet viel – er sagt wenig Neues. Mit allen Mitteln versucht er, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, die Entscheidungen seiner Regierung seien von Geldspenden beeinflusst worden. Doch Kohl zeigt Nerven. „Meinen Sie die Bestechungssumme? Reden Sie doch nicht drum rum!“, fährt er den Ausschussvorsitzenden an. Volker Neumann hatte ihn mit der Behauptung des CDU-Finanzjongleurs Weyrauch konfrontiert, es habe einen Vermerk gegeben, dass die Million des Waffenhändlers Schreiber „in Absprache mit dem Parteivorsitzenden“ verwendet werden solle. Kohl zutiefst empört: „Ich habe davon nichts gewusst.“ Die Empörung wirkt nicht gespielt.

Das Panzergeschäft

Doch wenn auch nur ein Bruchteil der Hinweise, die der Ausschuss inzwischen gesammelt hat, stichhaltig ist, dann wusste Helmut Kohl genauestens Bescheid: Über sämtliche Großspender und auch über die Wünsche, die sich mit ihren großzügigen Gaben verbanden. Dann ist sein Auftritt vor dem Ausschuss reines Theater. Dann hat er gestern nicht nur einmal gelogen.

Die Hinweise haben sich in den vergangenen Wochen verdichtet, dass im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen Geld geflossen ist. Der Verkauf von 36 Fuchs-Panzern an Saudi-Arabien zum Beispiel: Kohl sagt, er habe sich „allein durch politische Notwendigkeiten leiten lassen“. Es sei eine internationale Forderung gewesen, dass Deutschland sich an der Allianz gegen den Irak im Golfkrieg beteilige, zumal Deutschland „alle Vorteile der Allianz“ für die Wiedervereinigung genutzt habe. Deswegen habe er dem damaligen US-Außenminister Baker in einem Vier-Augen-Gespräch gesagt, „dass er alles tun werde, um die Golfallianz zu unterstützen“. In diesem Zusammenhang habe er auch zugesagt, die Panzerlieferung durchzusetzen. Das ist nach jüngst im Kanzleramt aufgetauchten Vermerken offenbar nicht richtig. Sie belegen, dass Kohl lange keine Zusagen machte und das Außen- sowie das Verteidigungsministerium den Deal noch im November 1990 ablehnten. Drei Monate später stimmte der Bundessicherheitsrat dann doch zu. Im Zusammenhang mit dem Geschäft sollen 220 Millionen Mark an Provisionen und Schmiergeldern geflossen sein.

Nach Unterlagen der Firma Thyssen wurden 26 Prozent der Auftragssumme für „POL“ verplant. POL steht für „Politik“ – vermutlich für die Bestechung von Parteien und Politikern. Fest steht, dass sich der Waffenhändler Schreiber und die Firma Thyssen bei der Bundesregierung immer wieder massiv für das Geschäft einsetzten. Und: dass Schreiber wenige Monate nach dem Beschluss im Sicherheitsrat in der Schweiz eine Million in bar an den CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep übergab.

Die Parteifinanzen

Ungeniert gab Kohl zu, dass er auch die Geschäfte der CDU im Kanzleramt erledigte. Bei seiner „kolossalen Zeitbelastung“ sei es auch nicht anders möglich gewesen. Über die finanzielle Situation der Bundespartei sei er regelmäßig informiert worden. Aber mit Weyrauch, dem Herrn über die schwarzen Kassen der CDU, habe er „überhaupt nie“ über Finanzen geredet. Von Konten außerhalb des offiziellen CDU-Rechenwerks habe er nichts gewusst. Auch nichts von den 1,5 Millionen Schweizer Franken, die auf einem Konto in der Schweiz lagen, die nach dessen Auflösung unter Weyrauch, dem Generalbevollmächtigten der Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, und Kiep aufgeteilt worden sein soll.

Wenn die Firma Siemens (wie Lüthje vor wenigen Monaten behauptete) eine Million gespendet hätte, „hätte ich davon erfahren“. Hat er aber angeblich nicht. Als ihn ein SPD-Abgeordneter mit einem Brief Lüthjes aus dem Jahr 1993 konfrontiert, in dem von einer Materialspende von Siemens in siebenstelliger Höhe die Rede ist, wird er ungehalten: „Ich merke, was hier gespielt wird.“

Da ist sie wieder, die Verschwörungstheorie. Das ist es wieder, das Opfer Helmut Kohl.

Dokumentation der Kohl-Erklärung: SEITE 4

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