Wenn die MUFL spielen

Mit „Hajusom Drei!“ trotzt kontinuierliche Theaterarbeit dem unsicheren Aufenthaltsstatus der DarstellerInnen  ■ Von Anette Kretzer

Das Stück Hajusom Drei! geht heute zum letzten Mal über die Bühne. Es kann aber auch sein, dass die derzeitige Besetzung bald gehen muss. Denn die Mehrheit der DarstellerInnen ist das, was im Behördendeutsch „MUFL“ (minderjähriger unbegleiteter Flüchtling) genannt wird – Jugendliche aus Sierra Leone, Äthiopien, Angola, Togo, Liberia und Afghanistan, die vor Verfolgung und Mord in die BRD geflohen sind. Seit der Premiere des Projektes Hajusom im Juni 1999 hat die bundesdeutsche Flüchtlings- und Asylpolitik das ursprüngliche Ensemble bereits um die Hälfte dezimiert, die Jugendlichen wurden abgeschoben, sind in ein anderes Land geflohen oder verschwunden.

Mit teilweise neuer Besetzung ist Hajusom Drei! die dritte, veränderte Version eines Theater-Experiments, das seit Februar 1999 von der Kulturbehörde gefördert und von verschiedenen Hamburger Ins-titutionen und Vereinen unterstützt wird. In einer der Erstversorgungseinrichtungen, in denen viele der jungen MigrantInnen leben, um größtenteils auf ihre Verfahren vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu warten, kam der Kontakt zu den Regisseurinnen Ella Huck und Dorothea Reinicke zustande. Seit der Bewilligung des Projektantrags, benannt nach den drei Mitinitiatoren HAtice, JUSef und OMid, hatte Hajusom etliche erfolgreiche Auftritte in Hamburg und Niedersachsen.

Hajusom ist als work-in-progress-Projekt konzipiert. Die Bühnenstücke wurden aus den unterschiedlichsten Inputs der Mitwirkenden zu einer Collage aus Musik, Tanz und szenischen Arrangements montiert. Viele der teils scherzhaften, teils alptraumhaften Szenen hat die 14- bis 16-köpfige Theatergruppe, die nahezu paritätisch mit weiblichen und männlichen Teenagern besetzt ist, selbst geschrieben und durch Improvisationen entwi-ckelt. Die einzige grundlegende Zielsetzung bestand darin, eine verbindliche Kontinuität durch die dauerhafte künstlerische Auseinandersetzung zu erreichen, die der Diskontinuität ihres Bleiberechts etwas entgegensetzen soll.

Die Themen gehen selbstbewusst über die Konfliktlage der Illegalisierung hinaus und reichen von Ereignissen in dem Land, aus dem sie geflohen sind, von ihren Fluchtgeschichten und dem erfahrenen Rassismus in der BRD bis zu den internen Streitereien im Theaterkollektiv und den alltäglichen Scharmützeln der Erlebniswelt rund ums Erwachsenwerden. Als musikalische Akzente wählten die 12- bis 19-Jährigen HipHop und indischen Musical-Pop, ihr Geschmack bestimmte auch die tänzerischen Einlagen und die Kampfszenen. So entstand die Theaterarbeit nach dem Prinzip, dass alles, was aktuell geschieht, verarbeitet werden kann. Aktuell ist die drohende Abschiebung des Gruppenmitglieds Abdou Razak Amadou (taz berichtete; Nähere Informationen unter: abdou_razak@tripod.com).

Wer bereits den Quittungsblock für paralysierende „Interkulturalität“ gezückt hat und der fragwürdigen Versuchung nachgibt, im varianten- und facettenreichen Spiel die kalkulierbare Manifestation unterschiedlicher Traditionen und Mentalitäten auszumachen, wird eines Besseren belehrt werden. Denn Hajusom Drei! ist eine provokative Dokumentation der ungeregelten und überraschenden Dynamik, die entsteht, wenn sich junge Menschen begegnen, denen das Land, in dem sie auftreten, den gesicherten Aufenthalt verweigert. Als ebenso offener wie bedrohter Raum, in dem die konfrontative Lebenswelt der DarstellerInnen aktiviert wird, ist die Bühne kein Befriedungsort für stagnative Identifizierung. Statt dessen findet sich dort ein schonungsloser Austragungsort für den rebellierenden Eigensinn, der aus der Erfahrung permanenter Veränderung und Neuorientierung resultiert.

Die Gruppe ist über die Zeit zusammengewachsen. Deshalb wird es nach der letzten Vorstellung auch weitergehen. Eine neue Produktion ist für den Herbst geplant, mit der gleichen Besetzung – wenn nicht das Bundesamt dazwischenkommt.

Ultimativ letzte Aufführungen: heute, 11 Uhr und 20 Uhr, Fabrik