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„Wir haben alle einen kleinen Schaden“

Der israelische Autor Etgar Keret schreibt Geschichten über Selbstmörder und Verlierer: „Meine Generation ist wie ein Bagel. Viele Leute laufen im Kreis und starren in ein Loch.“ Keret liest heute in Berlin. Mit der taz sprach er über Christoph Schlingensief, das Leben danach und eine Katze namens Rabin

Interview: JAN BRANDT

taz: Das letzte Mal waren Sie allein in Deutschland. Ihre Freundin weigerte sich, nach Deutschland zu fahren. Warum?

Ich weiß auch nicht. Für mich hätte es ein Problem sein müssen, schließlich sind meine Großeltern im Holocaust umgekommen, nicht ihre.

Etgar Keret: Wie haben Sie Ihre Freundin überzeugt?

Ich sagte ihr: Berlin ist nicht wie Deutschland, es ist weltoffen.

Sie machen also gerade ein paar Tage Urlaub?

Nein, ich habe zwei Interviews gegeben. Eins fürs Fernsehen, was sehr interessant war, weil ich dadurch einige Leute kennengelernt habe, zum Beispiel diesen Sch-. Ich glaub nicht, dass ich seinen Namen aussprechen kann. Schlensi, Schlensky?

Meinen Sie Christoph Schlingensief?

Ja, ein sehr netter Typ.

Hat er Ihnen was von seinem Container-Projekt erzählt?

Ja, eine tolle Idee. Er wollte mich dabei haben. Und ich sagte, nur unter der Bedingung, dass ich mir als Gewinn mein Leben lang original österreichischen Strudel geliefert wird. Ich liebe Strudel. Doch ich hatte schon etwas anderes vor. Vielleicht hätte ich den Österreichern auch nicht gefallen.

Einigen Israelis gefallen Sie auch nicht.

So schlimm ist es nicht. Ich habe nur eine andere Meinung. In Israel reicht das schon, um zu provozieren. Dort herrscht eine Im-Graben-leben-Mentalität, die besagt: Wir müssen alle zusammenhalten. Es klingt verrückt, aber allein die Tatsache, dass ich ungewöhnliche Wörter in meinen Geschichten verwende, genügt, um diese Regel des Zusammenhaltens zu brechen. Manche denken, ich bin ein Sprachrandalierer. Aber Sprache ist Kommunikation.

Nicht nur Ihre Sprache, die Geschichten selbst provozieren. Eine handelt von einem Jungen, der beim Auftreten mit seinen neuen Adidas-Turnschuhen immer Angst hat, seinem Großvater wehzutun, weil jemand ihm erzählt hat, dass alles, was aus Deutschland kommt, aus den Knochen von ermordeten Juden hergestellt wird. Sie spielen mit der Erinnerung an den Holocaust . . .

Meine Geschichten richten sich nicht gegen die Erinnerung an den Holocaust. Sie machen sich nicht darüber lustig. Alles was ich sagen will, ist, dass manchmal Erinnerung so heilig ist, das sie erstarrt wie ein Stein. Ich hab immer versucht, eine Art Vertrautheit mit der Erinnerung herzustellen, zum Beispiel in der Geschichte „Rabin ist tot“. Zwei Kinder begegnen auf dem Platz, auf dem Rabin erschossen wurde, einer Katze. Und weil sie Rabin mochten, nennen sie die Katze Rabin. Einige Kritiker schrieben, dass ich Rabin beleidigt hätte. Darin drückt sich eine Haltung aus, die in Israel sehr verbreitet ist: Die Leute mögen es, wenn man der Erinnerung in einer automatisierten Weise huldigt.

In „Pizzaria Kamikaze“, Ihrem neuesten Roman, laufen nur Selbstmörder herum. Warum gibt es in Ihren Geschichten gibt so viele, viele Tote? Ist Israel eine Schattenwelt?

Das ist eine Reaktion auf die Gesellschaft der Eltern. Sie waren sehr ideologisch geprägt, in ihrem Leben hatte es immer jemanden gegeben, der ihnen sagte, was zu tun ist. Meine Generation ist da eher wie ein Bagel. Viele Leute laufen im Kreis und starren in ein Loch. Ich kenne viele, die sich einsam fühlen, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. In einer Welt von Toten muss man andere Gründe zum Leben finden.

Was für Gründe?

Einfache, Kleinigkeiten. Winzige Ziele, eine Freundin finden zum Beispiel. Es gibt kein großes Programm mehr. Es gibt keine Regeln, oder wenn es welche gibt, dann sind es die, die du dir selbst steckst. Meine Helden sind nicht gleichgültig, sie leben nur in einer gleichgültigen Welt und versuchen, dagegen anzukämpfen und etwas zu finden, dass ihnen etwas bedeutet. Über den Tod hinaus.

Der Tod ist ein Teil Ihres Lebens. Ihr bester Freund hat sich das Leben genommen. Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich dachte über mein Leben nach und fragte mich: Was will ich eigentlich? Was mach ich hier? Es klingt komisch, aber danach fühlte ich mich mir selbst stärker verbunden. Ich begann sogar zu schreiben wegen dieser Sache. Davor habe ich nicht wirklich gelebt, studiert, gearbeitet, sonst nichts.

Trotz einiger Tragik machen Ihre Figuren auch viele Witze, denken sich komische Sachen aus und erleben die absurdesten Dinge. Damit stehen Sie in einer langen jüdischen Erzähltradition. Warum verstehen das die orthodoxen Juden nicht?

Das ist eine jüdische, aber keine israelische Erzähltradition. Die Juden waren immer in einer unterlegenen Position, die Israelis dagegen verhalten sich oft wie Clint Eastwood. Allgemeiner gesagt: Wenn Menschen schwach sind, flüchten sie in den Humor und die Ironie, um sich das Leben leichter zu machen. Humor ist immer die Waffe der Schwachen. Hat man Macht, macht man keine Witze mehr.

Sie protestieren auch, trotzdem wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, unpolitisch zu sein.

In Israel ist jeder politisch, besonders die Schriftsteller. Gerade die älteren verhalten sich schon wie Staatsmänner, sie gehen zu Dinnerparties, trinken Cocktails mit Schimon Peres. Die, die mich kritisierten, haben mich schon zu solchen Partys eingeladen, aber ich gehe da nicht hin. Ich will meine Unabhängigkeit nicht verlieren. Wenn ich etwas zu sagen habe, schreibe ich eine Geschichte. Ich brauche mir keinen Aufkleber aufs Auto zu kleben, auf dem „Ich hasse Netanjahu“ steht. Wenn dann Leute meinen, ich sei unpolitisch, ist das ein Missverständnis.

Wie geht’s jetzt weiter? Ist der Tod noch ein Thema für Sie?

Gute Geschichten haben immer in gewisser Weise mit dem Tod zu tun. Und auch in meinem Leben war er immer da, nicht nur was die Selbstmorde angeht oder den Holocaust. Die Eltern meines Vaters zum Beispiel sind auf eine sehr merkwürdige Weise ums Leben gekommen. Mein Großvater hat sich mit einem Nachbarn um den Komposthaufen gestritten, und da hat der andere ihn umgebracht. Meine Großmutter wurde von einem Bus überfahren. Ich warte auf den Tag, an dem jemand in meiner Familie auf natürliche Weise sterben wird. Aber ich denke, das wird noch ein paar Generationen dauern.

Etgar Keret: „Pizzaria Kamikaze“. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand Verlag, München 2000, 78 Seiten, 19,80 DM.Etgar Keret liest heute, um 20 Uhr, in der Bücherstube Marga Schoeller, Knesebeckstr. 33–34

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