: Stimmvieh für Rauf Denktasch
Zehntausende Festlandstürken wurden nach Zypern gelockt, um türkische Interessen zu festigen. Doch ihre Hoffnungen haben sich nicht erfüllt
von der Karpasia-HalbinselANTJE BAUER
Auf einem steinigen Feld hockt der Bauer Sefa Simsek Yilmaz und setzt Tomatenstauden. 1985 hat er seine Äcker in der südtürkischen Stadt Adana verkauft und ist hierher gezogen, nach Dipkarpaz, am nordöstlichen Ende Türkisch-Zyperns. „Damals kostete das Kilo Tomaten auf Zypern 5.000 Lira und in Adana nur 150, überleg mal, was für ein Unterschied! Deshalb dachten wir, wir könnten hier Geld verdienen.“ Ächzend richtet er sich auf, stemmt die Hand ins Kreuz, schüttelt den Kopf. „Aber in Wirklichkeit haben nur die Zwischenhändler verdient. Jetzt tut es uns Leid, dass wir hergekommen sind.“ Zurück kann er nicht mehr: Die Äcker in der Türkei sind weg, und was sollen die Leute sagen, wenn er als Habenichts wieder dort auftaucht? Also hackt er weiter Steine aus dem Feld und schimpft auf die „Halunken“ auf Zypern. Nein, nein, mit den Griechen am Ort komme er gut aus, versichert er. „Die Probleme schaffen immer nur die da oben.“
Provisorium wurde Dauerzustand
Vom Nachbargrundstück tönt lautes Hämmern. Es ist Zacharia Harp, der auf dem Boden hockt und in mühevoller Handarbeit Blechplatten zu Schaufeln klopft. Es sieht ein wenig verwahrlost aus bei ihm: Überall liegen rostende Eisenteile herum, das Unkraut wuchert. Neben Zacharia steht ein kleines Mädchen und schaut ihm zu.
Als Zacharia Harp geboren wurde, 1968, war dieses noch ein griechisches Dorf und hieß Rizokarpaso. Doch 1974 fand ein Putsch auf Zypern statt mit dem Ziel, die Republik an Griechenland anzuschließen. Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit entsandte daraufhin Truppen auf die Insel, die den Norden besetzten – 37 Prozent des gesamten Territoriums. Obwohl der Putsch fehlschlug und der rechtmäßige Präsident Zyperns, Erzbischof Makarios, ein halbes Jahr später aus dem Exil auf die Insel zurückkehrte, blieben die türkischen Truppen da. Die zunächst provisorische Teilung der Insel wurde zum Dauerzustand. Die im Norden lebenden Griechen flohen fast alle in den Süden – nur in Rizokarpaso lebten weiterhin einige hundert Zyperngriechen.
Keine Arbeit für Griechen
Um das eroberte Land zu besiedeln und Fakten zu schaffen, lud die nordzypriotische Regierung unter Rauf Denktasch Türken vom Festland ein, sich auf Zypern anzusiedeln. Der Grieche Zacharia Harp erhielt neue Nachbarn aus dem Land der Sieger und lernte ein wenig Türkisch. „Dies ist mein Zuhause, deshalb bin ich hier geblieben“, erklärt er.
Doch sein „Zuhause“ hat sich ziemlich verändert. Während im Dorf früher nur Griechen lebten, sind die Türken nun in der Mehrheit. Arbeit kann der Grieche Zacharia Harp hier im türkischen Teil nicht suchen – die Familie bestreitet ihren Lebensunterhalt vor allem mit Geld der griechisch-zypriotischen Regierung. Die Amtssprache ist Türkisch, und im ganzen türkischen Teil Zyperns gibt es keine griechischsprachige Mittelschule. So bleibt nur der Umzug auf die griechische Seite, wenn die Kinder etwas lernen sollen. Harps Frau ist deshalb mit den beiden älteren Kindern auf die griechische Seite gezogen, er blieb mit den drei Kleinen hier. „Die Lage ist normal“, sagt er vorsichtig, „weder gut noch schlecht. Die Nachbarn sind ganz in Ordnung.“ Die niedrigen, weiß gekalkten Bauernhäuser des Dorfes gleichen denen in der Westtürkei. Doch Fenster und Türen sind blau umrandet – griechische Farben. In den blühenden Gärten machen sich breithüftige türkische Bauersfrauen in hellen Kopftüchern zu schaffen, aus den Häusern dringen türkische Schlager.
„Jeder für sich“ – die einzige Lösung?
Der 73-jährige Dursun Çebi stammt von der türkischen Schwarzmeerküste. Nach einem Emigrantenleben in Deutschland und Belgien kam er 1976 nach Rizokarpaso, das die Türken in der Zwischenzeit in Dipkarpaz umbenannt hatten. Er bezog eins der blauweißen Häuser, deren griechische Besitzer in den Süden gegangen waren, und baut nun auf Feldern, die früher Griechen gehörten, Weizen und Gerste an. Ein übermäßig schlechtes Gewissen hat er nicht deshalb. „Die Griechen wollten damals Zypern an Griechenland anschließen, und dabei haben die Türken nicht mitgemacht, deshalb kam es zu Konflikten“, erklärt er über den Gartenzaun. Çebi hat die Staatsangehörigkeit der international nicht anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ erworben. Als Zypriote fühlt er sich natürlich nicht und vertraut darauf, dass die Türkei und ihre Truppen auch weiterhin für die enge Anbindung an das türkische „Mutterland“ sorgen werden. Für die Zukunft sieht er nur eine Lösung: dass im griechischen und im türkischen Teil Zyperns je eine Republik existiert, mit ganz normalen Grenzen, „wie zwischen Griechenland und der Türkei auch. Jeder für sich, dann gibt es keine Probleme.“ Da freut sich Rauf Denktasch.
Wie ein Kaff im Wilden Westen
Auf einer Anhöhe liegt, mitten in einem frisch angelegten Garten, die große, neue, strahlendweiße Moschee. Es ist die erste am Ort, denn früher lebten hier keine Türken. Auch zwei Kirchen gibt es, doch der Regen hat auf dem Weiß ihrer Mauern Nasen hinterlassen, der Putz bröckelt, und die Türen sind verwittert. Der Priester zelebriert jeden Sonntag abwechselnd in einer der beiden die Messe, unter der Woche bleiben beide geschlossen. In Rizokarpaso gab es zwei griechische Grundschulen. Im türkischen Dipkarpaz ist nurmehr eine davon in Funktion, die andere wurde mit Stacheldraht eingezäunt. Der Ortskern gleicht einem Kaff im Wilden Westen. Ein paar Häuschen, die sich aneinander klammern, faltiges Gemüse in der Auslage des Kramladens; im Halbdunkel sitzen Verkäufer und warten auf Kundschaft – zumeist vergeblich. An einem Pfeiler lehnt der Kurde Sultan Sönmez und schaut auf die Hauptstraße, auf der nichts passiert. Seine Kleidung ist abgewetzt, der Bart schon ein paar Tage alt. Sultan Sönmez kam vor zehn Jahren hierher. Er stammt aus Mus, einer kurdischen Kleinstadt in der Türkei, hat sechs Kinder und verdingt sich als Tagelöhner bei einem Bauern. Oder als Bauarbeiter. Aber viel Arbeit gibt es nicht, weder hier noch in der Stadt. Zypern hat sich für ihn als Sackgasse erwiesen.
Die Karpasia-Halbinsel hier im Nordosten Zyperns ist das am geringsten entwickelte Gebiet Türkisch-Zyperns. In den wenigen Dörfern leben vorwiegend Bauern aus der Türkei, die auf mühselige Art Landwirtschaft betreiben und sich glücklich schätzen, wenn sie einen Traktor besitzen. Dabei bilden kilometerlange Strände und das saubere Wasser ideale Vorausssetzungen für Tourismus. Doch gibt es kaum Hotels und Restaurants, nur eine Landstraße führt bis zum Kloster am äußersten Zipfel der Halbinsel. Esel, die unter Feigenkakteen grasen, bestimmen das Bild – idyllisch, aber nicht einträglich. Ein Grund für die Rückständigkeit ist das internationale Embargo gegen den türkisch besetzten Teil der Insel: Nur aus der Türkei gibt es Direktflüge nach Nordzypern.
Rauschgifthandel und Geldwäsche
Ein weiterer Grund jedoch ist hausgemacht: Den türkisch-zypriotischen Politikern mangelt es am Willen zur Veränderung. „Außer Spielkasinos und Nachtclubs gibt es hier kaum noch ökonomische Aktivitäten“, schimpft Sener Levent, Chefredakteur der regimekritischen Tageszeitung Avrupa. „Die Produktion hier ist zusammengebrochen, stattdessen zahlt der Staat jeden Monat 45.000 Personen ein Gehalt oder eine Rente.“ Levent gehört zu den überzeugten Zyprioten, die die Teilung der Insel so schnell wie möglich rückgängig machen würden und den langjährigen und soeben wiedergewählten Staatspräsidenten Rauf Denktasch beschuldigen, eine Lösung des Zypernproblems um des eigenen Machterhalts willen zu hintertreiben. Laut Levent ist Nordzypern zu einer Drehscheibe für Drogenhandel, Geldwäsche und andere undurchsichtige Transaktionen geworden. Funktionsfähig ist dieses Gebilde nur, weil die Türkei Geld hineinpumpt, um den strategisch wichtigen Brückenkopf im Griff behalten zu können.
Spielbälle der Politik
Wie alle Zyprioten, die eine Wiedervereinigung der Insel anstreben, sieht auch Levent die Anwesenheit der Festlandstürken mit großem Misstrauen. „Die Wahlen, die hier stattfinden, kann man nicht als demokratisch bezeichnen“, meint er. „Denn in den Siebzigerjahren hat es einen großen Bevölkerungszufluss aus der Türkei gegeben, und diese Leute haben sofort das Wahlrecht bekommen.“ Auf 80.000 werden die Zuzügler geschätzt, damit übersteigt ihre Zahl vermutlich die der Zyperntürken. Diese 80.000 haben selbstredend keinerlei Interesse an einem wiedervereinigten Zypern und wählen deshalb treu die konservativen Parteien. Dass sie den Politikern als politisches Spielmaterial dienen, ist ihnen nicht bewusst.
„Früher war hier alles voller Griechen, wo du hinsahst: Griechen“, erinnert sich Dilsah Kirboga. Die Kurdin ist schon als Kind nach Zypern gekommen, hat aber ihren harten kurdischen Akzent beibehalten. Sie hat einen Kurden geheiratet und in Dipkarpaz einen Stall zum Wohnhaus ausgebaut. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben. Vom Balkon des Hauses gegenüber winkt die Schwiegermutter, auf der Straße kommt auf einem Traktor eine alte griechische Bäuerin entlang, es wird freundlich gegrüßt. „Wenn es zu einer Einigung kommt, werden die Griechen herkommen und ihre Häuser wiederhaben wollen“, vermutet Dilsah. „Darauf haben sie natürlich ein Recht. Aber die Regierung muss uns dann eben andere Häuser bauen. Die kann uns doch nicht auf der Straße sitzen lassen, oder?“
Die Alten trauen dem Frieden nicht
Gegenüber den Gemüseläden von Dipkarpaz sitzen im Kaffeehaus von Andreas Ahellas die alten Griechen von Rizokarpaso und spielen Karten. Wenn einer verliert, bezahlt er in zypriotischen Lira, die hier sonst niemand verwendet – hier gibt es nur die türkische Lira. Kaffee und Tee sind aus Griechenland, aus dem Radio dudeln griechische Schlager. „Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, dann habe ich mir ein Haus gebaut, und dann wurde es mir weggenommen. Ist das fair?“, wettert ein alter Mann, der seinen Namen nicht sagen möchte. „Wir wollen, dass alle wieder nach Hause zurückkehren, sowohl die Griechen als auch die Türken, und dass es wieder so wird, wie es vorher war.“ Die Alten brechen auf. Gemeinsam sind sie gekommen, gemeinsam gehen sie wieder, dem Frieden im Dorf trauen sie offensichtlich nicht so recht. „Freund sein mit den Türken?“, höhnt der Alte. „Natürlich sind wir gut Freund mit denen! Was bleibt uns denn anderes übrig.“
Doch wo es Jugend gibt, verliebt man sich und schert sich nicht unbedingt um Tabus. „Mein Onkel hat eine Griechin geheiratet“, sagt grinsend der 18-jährige Türke Ahmed Güngör, der auf den Kramladen seines Vaters aufpasst. „Er hat sie entführt“, korrigiert ein junger Mann neben ihm. „Sie ist davongelaufen“, räumt Güngör ein. „Sie hat ihren Eltern abends ein Schlafmittel ins Essen getan und ist mit meinem Onkel weg. Aber später haben sie sich mit den Eltern wieder ausgesöhnt.“
Der Muezzin ruft, die untergehende Sonne färbt die weißen Kirchen rötlich, Andreas Ahellas schließt sein Kaffeehaus. Der eiserne Atatürk am Rande des Platzes schaut entschlossen drein.
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