: „Wir machen Türen auf“
Claudia Roth glaubt an Chatamis Reformwillen und den „kritischen Dialog“
taz: Rot-Grün hält Chatami für einen Reformer. Warum eigentlich?
Claudia Roth: Man muss in der Tat fragen, ob Präsident Chatami sich nicht nur kosmetisch vom repressiven Staatsapparat unterscheidet. Meine Einschätzung: Er ist Teil des Systems, aber ohne ihn wird es keine Überwindung des Systems geben. Gerade bei Frauen hat er enormen Zuspruch erfahren.
Auch die fanatischen Mullahs wurden jahrelang von Frauen unterstützt.
Ja, aber Chatami vertritt für iranische Verhältnisse fast schon sensationelle Ansichten. Beispiel Justizsystem: Chatami hat sich vor wenigen Tagen zur UNO-Menschenrechtserklärung bekannt, die im Iran immer als Ausdruck des imperialistischen Bildes von Menschenrechten galt. Außerdem hat er sich gegen eine Herrschaftsform gewandt, die mit Hilfe von Macht, Gewalt und Einschüchterung eine Friedhofsruhe schaffe, in der Menschen lebende Leichen seien.
Ihre Beschreibung des Präsidenten erinnert an einen anderen Reformer. Ist Chatami ein Gorbatschow des Iran?
Da gibt es natürlich Ähnlichkeiten. Mit seinem Besuch in Deutschland macht Chatami ja auch etwas, was gefährlich ist. Ich weiß von politischen Köpfen in Teheran, die einen anderen Iran wollen, dass dieser Besuch als Symbol wichtig ist: Wir machen Türen auf, die bisher verschlossen waren.
Der CDU-MdB und DDR-Bürgerrechtler Vaatz denkt nicht an Gorbatschow, sondern an Honeckers Westreisen: Wer Repräsentanten einer Diktatur empfängt, stabilisiert das Regime.
Da verkennt Herr Vaatz die objektiven Veränderungen im Iran.
Ex-Außenminister Kinkel wirft Rot-Grün vor, sie hätten seinen „kritischen Dialog“ stets angegriffen – nur um ihn jetzt zu imitieren. Tun Sie das?
Der „kritische Dialog“ war weder kritisch noch ein Dialog. Damals haben die Mullahs diktiert, worüber zu reden ist – und worüber nicht. Der Dialog hat sich darauf reduziert, wie man ungestört Geschäfte machen kann. CSU-Landwirtschaftsminister Kiechle machte sich auf, die Überschussproduktion europäischer Hähnchen im Iran zu verkaufen.
Das Kanzleramt kündigt vorsorglich an, die Menschenrechte sollten nicht an die große Glocke gehängt werden.
Auch Präsident Chatami weiß, dass die Menschenrechte das Leitmotiv der rot-grünen Außenpolitik sind. Es wäre absolut falsch zu schweigen, falsch für uns, aber auch falsch für ihn.
Der Bundeskanzler wird nach dem Besuch voraussichtlich verkünden: Wir haben darüber geredet – aber bitte keine Fragen zu Details. Reicht Ihnen das?
Ich wünsche mir, dass der Bundeskanzler öffentlich macht, in welchem Zusammenhang über Menschenrechte geredet wurde. Vor allem erwarte ich, dass Herr Schröder klar macht, eine wirtschaftliche Öffnung des Iran wird nur von uns unterstützt, wenn sich die politische und humanitäre Lage verbessert.
INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ
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