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Die negative Faszination

Wieder einmal ist ein Biograf von Nicolae Ceaușescu gescheitert – weil er Kolportage mit gesicherter Information verwechselt hat.

Auch zehn Jahre nach dem gewaltsamen Tod des früheren rumänischen Partei- und Staatschefs Nicolae Ceaușescu bleibt dessen Lebensgeschichte weitgehend verschwommen. Zwar sind nach 1989 in der rumänischen Presse hunderte von Artikeln erschienen, in denen die Autoren die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens von Ceaușescu zu ergründen versuchten. Die meisten dieser Beiträge waren jedoch eher postume Auseinandersetzungen mit der kommunistischen Ceaușescu-Diktatur, ohne jeglichen wissenschaftlichen Wert. Auch viele westliche Publizisten fühlten sich von der negativen Faszination Ceaușescus angezogen und versuchten, die Persönlichkeit des früheren Präsidenten sowie die verschlungenen Wege des rumänischen Sonderwegs aus der überheblichen Perspektive der politischen Überlegenheit zu entschlüsseln. 1990 sind in Deutschland gleich mehrere Bücher über die rumänische Diktatur erschienen. Ohne die Quellen zu überprüfen, haben die meisten Verfasser dieser Publikationen Daten, Informationen und Behauptungen aus der rumänischen Presse jener Tage schlicht übernommen.

Thomas Kunze will nun, so der Klappentext, „die erste umfassend recherchierte Ceaușescu-Biografie nach 1989“ geschrieben haben. Schön wär’s. Auch Kunze bedient sich im Wesentlichen unüberprüfbarer Informationen über das Leben Ceaușescus – vor allem was seine Kindheit und Jugend betrifft. Leider fehlen auf der von ihm angegebenen bibliografischen Liste gerade einige grundlegende Werke: so die 1984 erstmals im dänischen Exil veröffentlichte „Geschichte der Rumänischen Kommunistischen Partei“ von Victor Frunzã oder die sachkundigen Schriften des rumänisch-amerikanischen Politologen Vladimir Tismãneanu. Die Hauptinspirationsquellen von Kunze sind dagegen zwei äußerst dubiose Werke: Die fragwürdigen Memoiren des in die USA übergelaufenen Securitate-Generals, Ion Mihai Pacepa, „Rote Horizonte“ (New York 1987) und der zweifelhafte Bericht des rechtsradikalen deutschen Publizisten, Joachim Siegerist, „Ceaușescu – der rote Vampir“ (Hamburg 1990).

Das von Kunze entworfene Ceaușescu-Porträt ist schemenhaft und entspricht eher einer Summe von überspitzten Vorurteilen als der nüchternen Wahrheit: Ceaușescu wird von seinen früheren Weggefährten, allen voran Alexandru Bârlãdeanu abschätzig als „etwas hässlich“, „aus armen Verhältnissen stammend“, „ungebildet“, „kulturlos“, „verschlagen“, „völlig humorlos“, „geistig unbeweglich“ und „hierarchiebesessen“ beschrieben. „Dies alles zusammen hat ihm Komplexe eingeprägt, an denen er sein ganzes Leben trug. Sein Zufluchtsort war die Macht.“ Bezeichnenderweise lässt Alexandru Bârlãdeanu kein gutes Haar an dem früheren Parteichef, der für sämtliche Ungesetzlichkeiten, dunkle Machenschaften, blutige Intrigen, terroristische Unterdrückungsmethoden und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht wird, so als wäre das kommunistische System in Rumänien das Werk eines einzigen Polit-Entertainers gewesen und nicht das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels verschiedener Interessengruppen, die sich gegenseitig bedingten und zeitweise unterstützten, sich gegebenenfalls aber auch handfeste Machtkämpfe lieferten. Bârlãdeanu war einer der Verlierer des internen Machtkampfes, nachdem 1965 der stalinistische Diktator Gheorghiu-Dej gestorben war.

Die Diskrepanz zwischen einer „umfangreich recherchierten“ Biografie und dem vorgelegten Buch ist offenkundig. Kunzes Werk ist somit ein unkritisches Spiegelbild der Gerüchte und Anekdoten, die nicht nur in der Ceaușescu-Zeit die Runde machten. Viele Seiten dieses Buches bestehen ausschließlich aus Versatzstücken dieser politischen Folklore, die nach der Wende auch von früheren hohen Parteifunktionären mit neuen unerhörten Geschichten aufgebläht wurde. Allen voran die früheren stalinistischen Politibüro-Mitglieder Alexandru Bârlãdeanu, Gheorghe Apostol und Ion Gheorghe Maurer.

Die widersprüchlichen Aussagen dieser Leute, ihre Übertreibungen und dumpfen Polemiken tauchen unwidersprochen auch in dem Buch von Kunze auf. Statt sich über das Problem der schwer zugänglichen Quellen zu beklagen, hätte der Autor vorsichtshalber auch die ehemalige Mannschaft Ceaușescus interviewen sollen und vielleicht auf diese Weise Dinge in Erfahrung gebracht, die ein etwas weniger schiefes Bild des Erfinders der „goldenen Epoche“ Rumäniens ergeben hätten. Aber auch das bislang veröffentlichte Archivmaterial wurde nur unzureichend genutzt. Letztlich hat der Autor eher eine politische Geschichte Rumäniens im 20. Jahrhundert geschrieben als eine Biogafie des 1918 geborenen Ceaușescu. Aber auch diese Geschichte ist lückenhaft, weil sie ähnliche Mängel aufweist wie die Lebensbeschreibung des ehemaligen Schusterlehrlings, der zum allmächtigen Präsidenten wurde und 1989 vor einem Exekutionskommando endete. Ceaușescu war für Rumänien ein Verhängnis. Dieses Verhängnis fassbar zu erklären, ist Thomas Kunze aber nicht gelungen.

WILLIAM TOTOK

Thomas Kunze: „Nicolae Ceaușescu. Eine Biographie“, Christoph Links Verlag, Berlin 2000, 463 Seiten, 48 Mark

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