: Ein Streit um den Ort der Erinnerung
Sony will auf seinem Gelände am Potsdamer Platz keine Tafel, die dort früher schon einmal an den NS-Volksgerichtshof erinnert hat. Der Bezirk will dies jedoch. „Die Tafel kommt so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagt der Baustadtrat
Die deutsche Vergangenheit ist nicht immer angenehm – nicht nur den Deutschen: Der japanische Konzern Sony, dem ein Großteil des Potsdamer Platzes gehört, will nicht, dass zwischen seinen Glitzerpalästen eine kleine Tafel daran erinnert, dass hier der Volksgerichtshof stand. Dessen Präsident Roland Freisler verurteilte die Widerstandskämpfer des 20. Juli reihenweise zum Tode. Allerdings nicht hier, sondern im ehemaligen Kammergericht am Kleistpark. Er starb nur hier.
In der Wendezeit, als der Potsdamer Platz nur eine Brache im Niemandsland an der Mauer war, wurde eine erste Gedenktafel aufgestellt. Als 1993/94 langsam das neue Viertel am Tiergarten wuchs, wurde die Tafel abgebaut und in Sicherheit gebracht. Denn die städtebaulichen Wettbewerbe, im Momper-Senat bis Ende 1990 sowie unter Eberhard Diepgen (CDU), schrieben fest, dass die Erinnerung an NS-Stätten zu bewahren sei.
Nun ist der neue Potsdamer Platz beinahe fertig; der Bezirk Tiergarten will die Tafel wieder an ihrem alten Ort installieren. Seit Frühjahr sei er damit beschäftigt, sagt Baustadtrat Horst Porath (SPD), doch Sony sei „etwas bockig“. Er will nun warten, bis alle Baumaßnahmen beendet sind und die Straße, an der der Volksgerichtshof einst stand, fertig gestellt ist – die Bellevuestraße. Zwar könne man dem Konzern als Eigentümer des Geländes „nicht aufdrücken“, die Tafel aufzustellen. Aber bei öffentlichem Straßenland sei er als Baustadtrat verantwortlich, so Porath. Darum werde die Tafel auch wieder kommen – „so sicher wie das Amen in der Kirche“.
Bezirksbürgermeister Jörn Jensen (Bündnisgrüne) sagt, die Verhandlungen mit den Japanern seien schwierig. Sie argumentierten: „Was haben wir mit eurem Volksgerichtshof zu tun?“ Der Gedanke, dass die Tafel nicht gegen sie gerichtet sei, sondern dass sich die Deutschen durch dieses stumme Zeichen mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzten, sei ihnen „sehr fremd“. Man könne jedoch Sony auf seinem Gelände nicht zwingen, die Tafel zu installieren – das sei bei allen Immobilienbesitzern so, die man um die Erlaubnis zur Aufstellung einer Gedenktafel bitte. Angesichts der anderen Kultur der Asiaten solle man ihre Scheu „nicht von vornherein abwerten“.
Sony wollte gestern zum Tafelstreit nichts sagen. Wie es heißt, argumentiert der Konzern jedoch damit, dass das eigentliche Hauptgebäude des Volksgerichtshofes außerhalb seines Grundes und zum Teil auch auf dem DaimlerChrysler-Areal gestanden habe. Die Pressesprecherin des DaimlerChrysler-Projekts, Ute von Vellberg, verweist jedoch darauf, dass nur „eine Ecke“ eines Nebengebäudes auf dem Boden ihres Unternehmens gestanden habe. Deshalb sei es „wenig sinnhaft“, dort eine Tafel aufzustellen. Das eigentliche Hauptgebäude des Volksgerichtshofes habe sich früher dort befunden, wo heute die neue Potsdamer Straße sei. Und wie man dort des blutigen Gerichts gedenken solle, das wisse sie auch nicht. PHILIPP GESSLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen