„Die CDU im Stich gelassen“

Wilhelm-Josef Sebastian (CDU) über Dankbarkeit für Friedrich Merz, den Zorn seiner Fraktion auf Diepgen und Schönbohm sowie die zerstobene Hoffnung, über den Bundesrat ein wenig mitregieren zu können

taz: Eine Verschwörungstheorie lautet: Kohl-freundliche Unions-Regierungen hatten so wenig Skrupel, der Steuerreform zuzustimmen, weil ihnen die neue CDU-Führung ohnehin stinkt. Sie haben Helmut Kohl neulich lange gesprochen. Glauben Sie, er hat am Freitag die Strippen gezogen?

Wilhelm Josef Sebastian: Nein. Ich hatte bei dem Gespräch mit Helmut Kohl das Gefühl, dass er insgesamt der neuen Führung helfen will.

Immerhin hat Bremen, das Land der treuesten Kohl-Vasallen, gegen die Vorgabe von Friedrich Merz gestimmt.

Nein, ich sehe die Mauschelei bei Rot-Grün, nicht bei der CDU. Die Koalition hat sich mit Geld und nachgereichten Angeboten Stimmen erkauft. Die Union muss Friedrich Merz dankbar sein. Er war im Vermittlungsausschuss so hart, dass er eine Nachbesserung für die Länder herausgeholt hat.

Jetzt verwirren Sie mich. Ist die Steuerreform nun ein großer Betrug – oder ein Segen für die Deutschland?

Was heißt Betrug? Wir wollten doch die Steuerreform schon 1998, sind aber an Lafontaines Blockade gescheitert. Jetzt haben einzelne Länder, wie Berlin, Brandenburg und Bremen, ziemlich egoistisch Sonderzusagen herausgehandelt – zulasten der übrigen Bundesländer.

Ihre „Gruppe 94“ versteht sich als „Herz und Bauch“ der Unionsfraktion. Der Bauch will keine langen Erklärungen, sondern will wissen: Wer ist Schuld?

Wir stehen hinter unserem Fraktionschef Friedrich Merz. Die Verantwortung tragen Eberhard Diepgen und Jörg Schönbohm.

Jetzt redet Sebastian, der Politiker. In Bauch und Herz geht’s anders zu.

Ich kann’s auch deutlicher sagen: Die Herren Diepgen und Schönbohm haben die CDU im Stich gelassen, um sich selber Vorteile zu verschaffen. In Zukunft können sie für ihre Länder auch nicht mehr auf die Solidarität der Bundestagsfraktion zählen.

Angela Merkel hat Konsequenzen angekündigt – aber keine Mittel dafür.

Es ist in der Tat ärgerlich, dass die Satzung der Vorsitzenden keine effektive Möglichkeit gibt, auf ein so ungeheuerliches Verhalten unmittelbar zu reagieren. Aber der nächste Parteitag kommt bestimmt.

Die Blockade im Bundesrat hält nicht, bei Schröders Konsensrunden kann die Union nicht punkten. Was tun?

Uns bleibt nur zu sagen, was wir für den besseren Weg halten.

Hat die CDU erst jetzt gemerkt, wie machtlos sie in der Opposition ist?

Wir wussten schon, dass unsere Entwürfe im Bundestag mehrheitlich in den Papierkorb wandern. Aber da gab es die Hoffnung, wir könnten über den Bundesrat mitregieren. Das hat sich jetzt als Trugschluss erwiesen.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ