: „Grüne auf dem Weg der FDP“
Sind die Grünen neoliberal geworden? Streitgespräch zwischen der grünen Wirtschaftsexpertin Margareta Wolf und dem Globalisierungskritiker Oliver Moldenhauer über freien Welthandel, Steuerbefreiung für Unternehmen und SozialpolitikInterview KATHARINA KOUFEN und HANNES KOCH
taz: Herr Moldenhauer, Ihre Organisation „Share“ tritt als Anwalt derjenigen auf, die von der Gloabalisierung nicht profitieren. Haben Sie noch Hoffnung auf die Grünen?
Oliver Moldenhauer: Ich erwarte nur noch wenig von ihnen. Man muss sie genauso treten wie die anderen Parteien. Sie denken im Wesentlichen daran, Stimmen für die nächste Bundestagswahl zu sammeln.
Margareta Wolf: Das ist nicht unanständig. Wenn man nicht drin ist, passiert dort gar nichts mehr. Dann können wir uns alle in Seattle auf der Straße treffen.
Man hört, dass Sie während der Welthandelskonferenz von Seattle im vergangenen Dezember meist mit wichtigen Leuten in geschlossenen Räumen saßen, während draußen die Proteste tobten.
Wolf: Was sie zu wissen glauben. Ich habe Gespräche geführt und war auf der Straße.
Moldenhauer: Mich hat sehr befremdet, dass die Bundesgrünen die umstrittene Millennium-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) für gut hielten, während die Europagrünen und viele hundert Basisgruppen sich auf die Seite des Protests gestellt haben. Beim Einsatz für die Interessen derjenigen zwei Drittel der Weltbevölkerung, die nicht vom globalen Handel profitieren, passiert zumindest bei den Bundesgrünen extrem wenig.
Wolf: Der Vorwurf, wir wären untätig, trifft nicht zu. Im Gegensatz zu den Europa-Abgeordneten waren wir in der Bundestagsfraktion der Meinung, dass wir die Millennium-Runde von Seattle brauchen. Wir wollten uns von den internationalen Diskussionen nicht abkoppeln. Ich bin nämlich absolut dafür, die umstrittene Welthandelsorganisation WTO nicht zu schwächen, sondern zu stärken – um zum Beispiel ein besseres weltweites Kartellrecht zu schaffen. Das dient auch ärmeren Ländern und Bevölkerungsgruppen. Wir haben klare Ziele: Für die Entwicklungsländer besseren Zugang zu den Märkten der Industrieländer, die Verankerung ökologischer und sozialer Standards in den internationalen Handelsregeln.
Viele Leute haben Angst vor der schrankenlosen Globalisierung. Die Tobinsteuer wird als eines der wenigen, leicht nachvollziehbaren Mittel genannt, um die riesigen Finanzspekulationen und die dadurch hervorgerufenen Wirtschaftskrisen zu drosseln. Die Steuer würde auf jede grenzüberschreitende Kapitalbewegung erhoben und soll Investoren den schnellen Abzug ihres Geldes aus wirtschaftlich angeschlagenen Staaten verleiden. Warum sind die Grünen da so zögerlich?
Wolf: Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach Diskussionen über die Tobinsteuer initiiert. Aber das ist ein heikles Thema. Deshalb unterstützen wir jetzt den jüngsten Vorschlag der kanadischen Regierung, dass es eine internationale Studie über die Tobinsteuer geben soll. Dann kann man vielleicht endlich mal klären, ober dieser Weg, den zu schnellen Handel mit Währungen und die nachfolgenden Krisen einzudämmen, gangbar ist. Auf jeden Fall brauchen wir einen internationalen Konsens. Ohne USA und Großbritannien geht das nicht.
Moldenhauer: Dann scheitert das Projekt. Die entscheidende Frage ist: Wäre es machbar, wenn anfangs nur die EU und Japan die Steuer einführen? Meines Erachtens spricht einiges dafür.
Wolf: Das funktioniert nicht. Wenn man nur hier eine Steuer auf Devisentransaktionen erhebt, fließt das Kapital in die USA, wo es die Steuer nicht gibt.
Moldenhauer: Der Handel mit Währungen läuft nur über wenige Girozentralen. Die kann man kontrollieren.
Wolf: Aber die Kapitalflucht würde trotzdem zunehmen, was schlecht wäre für die europäische Ökonomie.
Moldenhauer: Entscheidend ist, dass einige schnelle und kurzfristige Spekulationen unterbleiben würden. Soziale Katastrophen wie die Asienkrise mit Armut, Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüchen würden zumindest unwahrscheinlicher. Aber natürlich kann man nicht alle Probleme der internationalen Finanzmärkte mit einer einzigen Maßnahme lösen.
Wolf: Richtig. Eine Reform darf sich nicht nur auf die Tobinsteuer fokussieren. Wir brauchen zum Beispiel mehr Transparenz und eine bessere Kontrolle der weltweiten Finanzströme.
Die Grünen befinden sich gerade in der Lage, dass ihnen typische Themen abhanden kommen, mit denen sie sich profilieren können. Was würden Sie raten: Wo sollte die Partei stärker Position beziehen?
Moldenhauer: Nicht zuletzt der missglückte Atomausstieg zeigt, dass man die zunehmende Macht der Wirtschaft über die gesellschaftlichen Institutionen einschränken muss. Da passiert aber bei den Grünen nicht viel, obwohl viele Menschen das begrüßen würden. Die Politik der Grünen geht doch inzwischen sehr ins Neoliberale. Denken wir nur an die in der vergangenen Woche beschlossene Steuerreform, die nun Konzerne wie die Allianzversicherung von der Steuer befreit, wenn sie Tochterunternehmen verkaufen.
Wolf: Ich finde die Steuerbefreiung für Veräußerungsgewinne nur folgerichtig – gerade vor dem Hintergrund der linken Debatte der vergangenen Jahre. In der alten Bundesrepublik ist ein Flechtwerk entstanden aus Unternehmen, Versicherungen und Banken – die Deutschland AG. Die hohe Beteiligung der nicht gerade risikofreudigen Banken hat Innovationen in Unternehmen verhindert. Deshalb erscheint mir die Steuerfreistellung als einzige handhabbare strukturpolitische Strategie, Deutschland wettbewerbsfähig zu machen. Ich würde auch gerne mal darüber reden, warum die Linke heute implizit diese Deutschland AG verteidigt.
Moldenhauer: Ihre Politik führt dazu, dass viel mehr Unternehmen die Besitzer wechseln als bisher, neue Großkonzerne entstehen und die Arbeitsplätze in diesen Unternehmen extrem unsicher werden. Die Grünen sind auf dem Weg der FDPisierung. Mit einer Politik der sozialen Verantwortung hat das nichts mehr zu tun.
Wolf: Ganz im Gegenteil. Es bedarf eines wirksamen Mittels, um zur Entflechtung zu kommen. Sonst würden viele Unternehmen den härteren globalen Wettbewerb nicht überleben. Es macht arbeitsmarkt- und sozialpolitisch keinen Sinn, die Deutschland AG zu erhalten.
Moldenhauer: Dadurch entgehen dem Staat Milliardeneinnahmen, die dann bei der Rente oder Arbeitslosenhilfe wieder eingespart werden. Für mich ist das ein klarer Fall von Begünstigung der Kapitalseite.
Wolf: Die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne ist im System der Unternehmensteuerreform notwendig, um Mehrfachbesteuerung zu vermeiden. Und am Ende rechnet sich das auch in Form höherer Einnahmen.
Herr Moldenhauer, die rot-grüne Regierung führt jetzt erstmals eine private Altersvorsorge für alle Beschäftigten ein. Investitionen in Aktien sollen die Rente sichern. Sie sehen darin eine Gefahr. Warum?
Moldenhauer: In den USA und Großbritannien bewegen Pensionsfonds Summen von vielen Billionen Dollar. Die Fonds investieren diese riesigen Summen in wechselnden Unternehmen und drohen den Vorständen, das Geld wieder abzuziehen, wenn die Renditen nicht hoch genug ausfallen. Sie unterstützen also keine langfristigen Unternehmensstrategien, sondern eine sehr kurzfristige Politik. Oft werden deshalb Jobs gestrichen, um schnellen Gewinn zu machen.
Wolf: Rentenfonds dürfen sich hier keinesfalls so entwickeln wie den USA. Dort können sie das Kapital der Anleger auch einfach verzocken – siehe Mexiko-Krise 1995. Wir brauchen Rahmenbedingungen. Zum Beispiel, dass jeder Fonds einen Teil sicherer Staatsanleihen enthält.
Moldenhauer: Der nächste Crash kommt bestimmt – vielleicht, weil die Fonds massenhaft Papiere verkaufen, um die Renten auszuzahlen.
Wolf: Wenn der Anteil an Bundesanleihen und anderen relativ risikolosen Papieren 30 Prozent oder mehr beträgt, hält sich diese Gefahr in Grenzen. Es gibt aber keine Form der Altersversorgung, von der man sagen kann, sie sei hundertprozentig sicher.
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