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Zwischen anthroposophischen Fronten

Das Politikmagazin „Report“ hat an Waldorfschulen rassistische Lehrinhalte entdeckt. Seitdem wird um die Anthroposophie Rudolf Steiners wieder gestritten. Waldörfler und Waldorfgegner stehen sich unversöhnlich gegenüber – sie wollen den Kampf um den goldenen Weg der Erziehung gewinnen

von FRANZISKA REICH

Diese Schule sei eine wunderbare Märchenwelt, sagt Herr Edelstein. Alles sei schön, sagt er. Schön und natürlich und gerade richtig, damit Glück in den Augen seiner Kinder funkelt. Die Schulhefte seien ein Traum, sagt er. Mit Seidenpapier und bunt und fröhlich. Herr Edelstein liebt die Waldorfschule. Frau Edelstein auch. Sie sind Juden.

Es sei eine antisemitische Schreckenswelt, sagt Frau Jacob. Alles sei sektiererisch, sagt sie. Sektiererisch und hierarchisch und geheimbündlerisch, damit Ideologie die Augen der Kinder verschließe. Die Schulhefte seien ein Alptraum, sagt sie. Ohne Inhalt und rassistisch und gleichgeschaltet. Frau Jacob hasst diese Schule. Sie ist eine Gegnerin der Waldorfschule, eine erbitterte.

Wer auch immer sich dem Thema Waldorfschulen widmet, dem wird schnell klar gemacht: Entscheide dich. Dies ist ein Streit um Grundsätze. Und wir wollen wissen: Auf welcher Seite stehst du?

Report Mainz, das Politikmagazin des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR), hatte sich klar entschieden. Klar für die Waldorfgegner. Im Februar strahlte Report einen Beitrag aus, in dem enttäuschte Eltern schwere Anklagen gegen die Waldorfschulen erhoben: Rassistische und antisemitische Inhalte würden dort verbreitet.

Vor zwei Wochen legte Report nach. Es präsentierte ein Buch mit einschlägig rassistischen Zitaten. Das Werk namens „Atlantis“ aus der Feder des Steiner-Mitarbeiters Ernst Uehli stammt von 1936. Und findet sich noch 1998 in den „Literaturangaben für die Arbeit des Klassenlehrers an einer Freien Waldorfschule“. Mit Report ist der uralte Streit um Rudolf Steiner und seine Ideologie wieder aufgeflammt. Die Stimmung ist geladen.

Frau Jacob auch. Ihr Tochter war Waldorfschülerin, heute ist Frau Jacob die Vorsitzende der „Initiative zur Anthroposophie-Kritik“ (IzAK). Frau Jacob macht mobil. Mit Flugblättern, die in großen schwarzen Lettern überschrieben sind mit: „Stop dem Anthroposophen-Kult“.

Angst vor Repressalien

„Ich weiß nicht, warum sie das alles sagen. Das ist Verleumdung“, sagt Frau Edelstein und zieht sich das wollene Tuch fester um die Schultern. Ihre Kinder sind an der Steiner-Schule im Berliner Stadtteil Zehlendorf. „Ich bin sehr aufmerksam beim Thema Antisemitismus. Viele meiner Familie sind in Konzentrationslagern umgekommen,“ sagt Herr Edelstein.

„Wir würden den Vorwürfen gerne nachgehen“, sagt Detlef Hardorp, der bildungspolitische Sprecher der Waldorfschulen Berlin-Brandenburg. Allerdings seien auf Anfrage weder Schulnamen noch Namen der betroffenen Eltern und Schüler offengelegt worden. „Vielleicht weil es sie gar nicht gibt“, sagt der Waldörfler Hardorp. „Natürlich gibt es die. Sie haben nur Angst vor Repressalien“, sagt die Antiwaldörflerin Jacob.

„Wir waren schon immer die Außenseiter der Gesellschaft, denen man gerne einheizt“, sagt Herr Hardorp. Außenseiter wegen der reformpädagogischen Ansätze Rudolf Steiners, der eine ganzheitliche Erziehung in einer anderen Form von Schule durchsetzen wollte. „Schmähungen sind das eine, Fakten das andere“, sagt Herr Hardorp, „die sollen erst mal Steiner lesen.“ Wer das tut, der wird das Werk Steiners wahrscheinlich merkwürdiger finden als die Schulform, die sich auf seiner Theorie begründet.

Der Streit zwischen Waldorf-befürwortern und Waldorfgegnern hat mit Report eine neue Dimension erreicht, eine hysterische. Beide Seiten wollen siegen, und wer siegen will, muss Massen sammeln. Auf 50 Mitglieder beruft sich die Initiative der Waldorf- und Anthroposophiekritiker. Auf 760 Waldorfschulen und 1.200 Waldorfkindergärten weltweit beruft sich die Gegenseite. „Wir sind eine Bewegung“, sagt Waldörfler Hardorp. „Sie sind eine Sekte, schlimmer als Scientology“, sagt Anti-Waldörflerin Jacob.

Sektiererisch, rassistisch, antisemitisch? Während des Nationalsozialsimus war die Bewegung Rudolf Steiners verboten. Die Schulen wurden geschlossen. Den Nationalsozialisten passte weder die freiheitliche Ausrichtung der Pädagogik noch der Rassebegriff Steiners. Dabei finden sich in Steiners Werk durchaus Sätze wie „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse“. Gern haben sich die Anthroposophen nie mit diesem Kapitel auseinandergesetzt.

Steiner kein Rassist

In den Niederlanden ist das geschehen. Manche Waldorfschulen boten dort bis vor kurzem das Fach „Rassekunde“ an. Also befasste sich eine Kommission mit dem Vorwurf des Rassismus in der Steinerschen Lehre. Nach eingehender Prüfung stellte die Kommission fest, dass es einige Stellen in Steiners Gesamtwerk gebe, die nicht unkommentiert veröffentlicht werden sollten. 16 Stellen, sagen die Waldörfler. 62 Stellen, sagen die Waldorfkritiker. Alles in allem aber stellte die Kommission fest, sei Steiner weder Rassist noch Antisemit.

Die Auseinandersetzung um Rassismus und Antisemitismus an Rudolf Steiner Schulen führt am eigentlichen Grund des Streites vorbei. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz. In Wirklichkeit geht es darum, wie ein Kind richtig zu erziehen sei. Es geht um Bildung als Ideologie.

Waldorfbefürworter wie Waldorfgegner suchen nach dem Königsweg der Erziehung. Beide Seiten wähnen sich auf dem richtigen. Beide Seiten verachten die andere. „Unsere Erziehung hat nichts mit Ideologie zu tun“, sagt Herr Hardorp. „Dass ich nicht lache“, sagt Frau Jacob.

An Staatsschulen herrsche kapitalistische Indoktrination, sagen die Waldörfler als Reformpädagogen. An Waldorfschulen herrscht die anthroposophische Indorktrination, sagen die Waldorfgegner. An Staatsschulen werde gleichgeschaltet und ausgesiebt, werde nur auf Ellenbogenkampf erzogen, die soziale Kompetenz komplett negiert, ereifern sich die einen. An Waldorf-schulen werde lieb getan und bös psychologisiert, werde nur auf braves Getue erzogen, die gesellschaftliche Realität komplett negiert, urteilen die anderen.

Dabei sind sich beide Seiten in manchen Punkten sogar einig. „Schulen müssen transparent sein,“ sagt Waldörfler Hardorp. „Schulen müssen transparent sein“, sagt auch Waldorfkritikerin Jacob. „Unsere Schulen sind extrem transparent“, sagt Herr Hardorp. „Dass ich nicht lache“, sagt Frau Jacob. Nur einige Linientreue im innersten Kern wüssten, was sich in den Schulen abspiele. Herr Hardorp wettert: „Transparenz ist bei uns enorm wichtig.“

Wie ist es um jene bestellt, die außerhalb des Waldorfzirkels stehen und Fragen stellen?

„Mir hat man bisher keine Antwort auf meine Anfrage gegeben“, sagt Willi Eisele, Oberstudiendirektor in Bayern. Eisele hat einen Fragenkatalog zum Geschichtsunterricht an öffentliche wie an private Schulen geschickt. Die meisten antworteten, die Waldorfschulen nicht. Sie verwiesen auf ihre Zentrale in Stuttgart. „Wer in fachlich-methodischen Fragen Intransparenz übt, setzt sich selbst dem Verdacht aus, etwas verbergen zu wollen“, mahnt Eisele und trifft damit einen wunden Punkt.

Schulbücher gibt es im Unterricht bei Waldorfs nicht. Sein Wissen über die Lehrinhalte musste Oberstudiendirektor Eisele der „grauen Literatur“ entnehmen – Bücher, die von den zentralen pädagogischen Materialstellen in Stuttgart und Kassel herausgegeben werden. Als Außenstehender Einblick zu erhalten in die Lehrinhalte an Waldorfschulen fällt daher nicht leicht. „Die Waldis tun manchmal schon arg geheim“, sagt Andreas, ehemaliger Waldorfschüler, „aber ideologisch im Sinne von anthroposophisch wurde ich sicher nicht erzogen.“

An Waldorfschulen gibt es keinen Anthroposophie-Unterricht. Weder Eltern noch Kinder müssen Anthroposophen sein oder sich mit der Lehre auskennen. Im Gegensatz zu den Waldorflehrern. Ihre Ausbildung ist ideologisch. Wer an einer Waldorfschule unterrichten will, besucht eine der neun Steinerschen Lehrseminare, liest die Hauptwerke des Meisters und macht sich anthroposophische Gedanken zur ganzheitlichen Erziehung.

Der Beschäftigung mit Steiner und seinen Lehren gehe man aus freien Stücken nach, betont die Waldörfler – ohne Druck, ohne Dogma, ohne Zwang. Christine Treiber sieht das anders. Sie war selbst Waldorfschülerin und ausgebildete Staatsschullehrerin. Sie besuchte das Lehrerseminar, um künftig an Waldorf-schulen unterrichten zu können. Was sie in der Ausbildung erlebte, empfand sie als extrem bevormundend. Sie erlebte Druck, Dogma und Zwang als wesentliche Grundzüge des Lehrerseminars und brach schließlich ab.

Anthro als Witzfigur

Der anthroposophische Rahmen soll die Lehrer in ihrem Verhalten gegenüber den Schülern führen, nicht aber Inhalt des Unterrichts sein. Inzwischen unterrichten viele ehemalige Staatslehrer an Waldorfschulen. Die echten Hardcore-Anthroposophenlehrer sind rar gesät. Sabine, frühere Waldorfschülerin in Stuttgart, sagt: „Wir hatten einen einzigen echten Anthro-Lehrer, aber der war eher die Witzfigur. Und die Kinder aus den Anthro-Familien, die nicht zu Partys durften und kein Fußballspielen, waren eher Außenseiter. Über die hat man gelacht.“

Ihre Schwester Susanne, die heute in die neunte Klasse derselben Steiner-Schule geht, kichert nur über den Blödsinn mit dem Fußball- und Pfeifverbot und den Antisemitismus. „Allerdings kann es das an manchen Schulen auch geben. Das weiß man ja nie so genau“, sagt sie.

Der Streit um den Vorwurf des Antisemitismus ging vor Gericht. Der Bund der Freien Waldorfschulen klagte auf Unterlassung und Gegendarstellungen mehrerer Aussagen des Report-Berichtes. Das Gericht wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den SWR zurück. Nur eine Behauptung muss Report unterlassen. Die, dass Juden „vermehrt“ ihre Kinder von Waldorfschulen abmelden. Im übrigen habe der SWR lediglich die Frage aufgeworfen: „Rassismus und Antisemitismus in der Waldorfpädagogik?“

Fragen müssen erlaubt sein. Denn, ob Anthro oder nicht: Wer nicht fragt, bleibt dumm.

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