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Großkalibrige Löcher in Leuten und Geschichte

■ Big Sleep – Big Love: Endlich wieder Humphrey Bogard und Lauren Bacall in Tote schlafen fest im Kino

Die Legende will es, dass Regisseur und Produzent Howard Hawks während der Dreharbeiten zu Tote schlafen fest mit seinem Star Humphrey Bogart aneinander geriet. Auslöser der Kontroverse war die Frage, ob eines der zahlreichen Opfer im Drehbuch durch Unfall, Mord oder Selbstmord zu Tode kommt. Nun erhofften sich beide eine plausible Erklärung von Raymond Chandler, hatte dieser doch mit The Big Sleep die literarische Vorlage geliefert. Chandlers lapidare Antwort: „How should I know? You figure it out.“ Diese oft und gern kolportierte Anekdote ist nicht nur Teil des Tote schlafen fest umgebenden Produktionsmythos, sie benennt zugleich die widersprüchliche Faszination des Films. Denn weder der 1939 erschienene Roman noch seine Verfilmung aus dem Jahr 1946 scheren sich um den für das Kriminalgenre konstitutiven Genuss der deduktiven und nachvollziehbaren Aufklärung.

Wie aber konnte der Film angesichts großkalibriger Löcher im Plot zum Publikumserfolg, ja sogar zum kanonisierten Meisterwerk aufsteigen? Die Spurensuche sollte bei der Figur Philip Marlowe beginnen. Im Laufe der Jahre liehen viele Schauspieler dem Detektiv ihr Gesicht, darunter Elliott Gould, James Garner und Robert Mitchum. Bereits 1945 spielte Dick Powell in Murder, My Sweet einen Marlowe, der am ehesten dem literarischen Vorbild entsprach: melancholisch, zögernd und mit Weltschmerz ausgestattet. Solche intellektuellen Sorgenfalten werden von Bogart rigoros ausgebügelt; sein Marlowe ist kein sentimentaler Zweifler sondern ein handfester Held. Und als solcher überwindet er auch die gröbsten Ungereimtheiten, sei es durch einen lakonischen Kommentar oder einen gezielten Kinnhaken.

Wirklich interessant wird die Leinwandfigur Bogart/Marlowe jedoch erst durch die kongeniale Lauren Bacall. In der Geschichte um einen todkranken Patriachen, dessen Töchter (Bacall und Martha Vickers) Marlowe vor Erpressern, Porno-Produzenten und Mördern schützen soll, gelingt ihr ein Aufsehen erregender Akt der Emanzipation. So darf sie nicht nur in pointierten Dialogen das Männlichkeitsbild Bogarts bis an den Rand ironischer Brechung drängen, sondern kann auch die eigene Präsenz vom zwielichtigen love interest hin zur seelenverwandten Partnerin ausbauen. Zudem korrespondierte die Kino-Beziehung vorzüglich mit der außerfilmischen Romanze der beiden Stars, was die Interpretationsfreude des Publikums steigerte. Überhaupt warfen die beteiligten Personen – ob nun Bogart, Bacall, Hawks, Chandler oder Co-Autor William Faulkner – große Schatten, die marktstrategisch in das Geschehen auf der Leinwand ragten. Mit dieser beinahe verschwenderisch anmutenden Anhäufung von „Namen“ feierte das Studiosystem Hollywoods noch einmal den eigenen Mythos, der die ökonomische Willkür sowie die zahllosen Zufälle sorgsam ausklammerte.

Was bleibt also? Auch wenn die Inszenierung mit Tempo und Atmosphäre dagegenhält – als traditionelles Krimi-Rätsel versagt Tote schlafen fest völlig. Ebenso als werkgetreue Adaption Chandlers. Trotzdem ist dies einer der schöns-ten Filme aller Zeiten, eben weil er uns immer wieder die eine Frage stellt: Warum mögen wir das ambivalente Konglomerat aus Starkult, hard boiled-Prosa und Genrekino so sehr? You figure it out.

David Kleingers

The Big Sleep (O.m.U): 20. + 21.7. , 17 + 22.30 Uhr, Abaton; 22. + 23.7., 18 + 22.30 Uhr, 3001; 25. + 26.7., 17 + 22.30 Uhr, Zeise

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