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Gauck heißt jetzt Birthler

Ex-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler soll Beauftragte für die Stasi-Unterlagen werden. Ein schwierige Aufgabe. Doch an der nötigen Courage hat es ihr noch nie gemangelt

BERLIN taz ■ Ein Kürzel genügte. Gestern nominierten die Kabinettsmitglieder im Umlaufverfahren Marianne Birthler als Nachfolgerin Joachim Gaucks für die Behörde, die seinen Namen trägt. Die Wahl durch den Bundestag ist sicher, es gibt keinen Gegenkandidaten, auch die CDU hat längst zugestimmt.

Am liebsten wäre es allen Entscheidungsträgern gewesen, wenn der Name des Amts und der Amtsträger weiter identisch geblieben wären. Aber Gauck lehnte, gut demokratisch, ab, weil für eine dritte Amtszeit eine Gesetzesänderung notwendig gewesen wäre. Für Marianne Birthler sprach von vorneherein ein doppeltes Image-Wunschprofil: Bürgerbewegte und Frau. Darüber hinaus hat sie auch als Politikerin nach der Wende einiges ins Feld zu führen.

Die künftige Datenbeauftragte betrachtet sich nicht als Opfer, als lebenslang Geschädigte des SED-Regimes. Sie hat sich als langjährige demokratische Oppositionelle ihr Stück „Lebendigsein“ nicht nehmen lassen. Das hat ihr nach 1990 erlaubt, Realpolitik ohne Anpassung und Prinzipientreue ohne Starrsinn zu betreiben. Sie hat ihr Amt als brandenburgische Bildungsministerin geliebt. Als sie aber das Tete-a-Tete ihres Chefs, des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, mit dem Ministerium für Staatssicherheit nicht mehr decken wollte, ist sie zurückgetreten. Später ist sie von ihrer eigenen Partei, den Bündnisgrünen, kalt abserviert worden. Das hat sie nicht angefochten. Sie kämpfte allein und unterlag bei Wahlen ehrenhaft. Courage hat bei PolitikerInnen in Ost wie in West Seltenheitswert – bei ihrem neuen Job ist sie gefragt.

Marianne Birthler war immer gegen die Schlussstrich-Mentalität. Schlussstrich ja, sagte sie schon 1992, aber nur, wenn etwas über dem Strich steht – nämlich die Rechnung. Die Rechnung wohlgemerkt, nicht die Abrechnung. Sie sieht, ähnlich wie Gauck, im freien Aktenzugang für die Opfer ein Stück Demokratie, „informationelle Selbstbestimmung“ in Aktion. Deshalb wird sie über ein schnelles Ende dieses demokratischen Rechts nicht mit sich reden lassen.

Leicht wird ihre Aufgabe nicht werden. Die Behörde und ihre Mitarbeiter (3.000 Beschäftigte, Kosten jährlich 220 Millionen Mark) leben in einer schwierigen Übergangsphase hin zu einem auf Forschung und Pädagogik ausgerichteten Unternehmen. Es gibt Kritik sowohl an dem privilegierten Aktenzugang der Behördenwissenschaftler als auch an bürokratischen Arbeitsmethoden der Sachbearbeiter. Für den Leitungsstil der Behörde nutzte der Schriftsteller Joachim Walter, selbst mehrjähriger Mitarbeiter, die Metapher vom Feudalsystem. Ähnlich gelagerte Kritik kam auch vom verstorbenen Jürgen Fuchs. Marianne Birthler äußert sich gegenwärtig klugerweise weder zu Stil noch zur künftigen Aufgabenstellung der Gauck-Behörde unter ihrer Leitung. Sie benötigt keine sorgfältig austarierten Absichtserklärungen. Eins ist allerdings sicher: Einem Abbruchunternehmen samt anschließendem Transport der Akten ins Bundesarchiv wird sie nicht vorstehen.

CHRISTIAN SEMLER

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