piwik no script img

Ein Arzt auch für Illegale

Die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege fordern in einer gemeinsamen Erklärung, Menschen ohne Aufenthaltsrecht gewisse Mindeststandards wie etwa Arztbesuche und Schulbildung zu garantieren

von FELIX WÜRTENBERGER

In Berlin leben nach offiziellen Schätzungen etwa 100.000 Illegale. Jeder Arztbesuch ist für sie ein Spießrutenlauf, Schulbildung für ihre Kinder meist undenkbar – ein Missstand, der nach Auffassung der freien Wohlfahrtsverbände nicht weiter hinnehmbar ist. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege gestern deshalb dafür aus, Menschen ohne Aufenthaltsrecht gewisse „Mindeststandards“ zu garantieren.

In ihrem Appell nennen die Wohlfahrtverbände sechs Kriterien für solche Mindeststandards (siehe Dokumentation). So sollen illegal in Berlin lebende Ausländer etwa eine Schule besuchen, zum Arzt gehen oder in Obdachlosenunterkünften schlafen können, ohne befürchten zu müssen, der Ausländerbehörde gemeldet zu werden. Bisher hänge das Schicksal dieser Menschen oft vom guten Willen Einzelner ab, beklagt Joachim Rüffer, zuständig für Migrantenberatung beim Roten Kreuz. „Einige Lehrer lassen Kinder in ihre Klasse, ohne nach Pass oder Aufenthaltsgenehmigung zu fragen. Und viele Ärzte helfen solchen Patienten unentgeltlich.“ Ziel der Initiative sei es, dieses bestehende „informelle System“ anzuerkennen und rechtlich abzusichern. Ferner seien die Wohlfahrtsverbände, neben dem Roten Kreuz unter anderem auch die Arbeiterwohlfahrt und die Caritas, mit der Beratung illegal in Berlin lebender Menschen überfordert und bräuchten dringend die Hilfe des Landes.

Eberhardt Vorbrodt vom Berlin Flüchtlingsrat begrüßt den Vorstoß der Wohlfahrtsverbände. „Wenn wir so etwas fordern, nimmt das niemand ernst. Bei den Wohlfahrtsverbänden ist das schon etwas anderes.“

Vorbrodt beklagt, dass das Ausländergesetz dazu zwingt, Illegale an die Ausländerbehörde weiterzumelden. Dies gilt zwar nicht für Ärzte. Sie sind nicht einmal dazu berechtigt, ihre Patienten zu „verpfeifen“. Dennoch hätten Illegale allen Grund, Angst vor einem Aufenthalt im Krankenhaus zu haben. „Wenn die Krankenhausverwaltung merkt, dass niemand für die Behandlungskosten aufkommen kann, wird sofort das Sozialamt eingeschaltet“, so Vorbrodt. Und dessen Mitarbeiter seien im Gegensatz zu den Ärzten verpflichtet, den Fall weiterzumelden. „Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Polizei vor der Tür steht.“

Bei der Sozialverwaltung zeigt man zwar Verständnis für die Forderungen der freien Wohlfahrtsverbände. Die stellvertretende Sprecherin Regina Kneiding betont: „Wir tun alles für diese Menschen, was uns der gesetzliche Rahmen erlaubt.“ Der allerdings würde vom Bund abgesteckt und nicht vom Land Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen