: Schule schult die Toleranz
Das Verhältnis zwischen deutschen und türkischen Jugendlichen ist besser als vielfach angenommen. Eine Untersuchung der Freien Universität zeigt: Vor allem die Schulen sind Orte der Integration
von BERT SCHULZ
Nirgendwo funktioniert die Integration von Ausländern besser als an Schulen. Zu diesem Ergebnis kommt eine gestern an der Freien Universität vorgestellte Studie. Der Erziehungwissenschaftler Hans Merkens hatte 1.105 Schüler, etwa zur Hälfte deutsche und türkische, an Gymnasien und Hauptschulen in Kreuzberg, Schöneberg, Neukölln und Wedding befragt. Seine Schlussfolgerung: Solange in einer Schulklasse beide ethnischen Gruppen mit mehr als fünf Personen vertreten sind, verfügen die Jugendlichen über „viele interethnische Kontakte“ und tolerieren die andere Gruppe. Damit nehme auch Fremdenfeindlichkeit ab. Freizeitkontakte zwischen den ethnischen Gruppen sind dagegen viel seltener.
Die von der Volkswagenstiftung geförderte Studie widerspricht damit der verbreiteten Annahme, dass junge Türken und Deutsche nebeneinander her leben würden und Schulen mit hohem Ausländeranteil automatisch als Problemschulen gelten.
Türkische Jugendliche legten Wert darauf, die eigene nationale Identität zu bewahren. Eine doppelte oder die Annahme einer deutschen Identität lehnt die Mehrheit ab. Integration werde nicht etwa als Assimilation verstanden. Gleichzeitig stellten die Forscher eine hohe gegenseitige Toleranz fest. „Auf der Basis eines Nebeneinanders baut sich gegenseitige Toleranz auf“, folgerte Merkens gestern. „Wir sind damit viel weiter auf dem Weg zu einer multikulturellen Gesellschaft, als das einigen recht ist.“
Die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, sieht durch die positiven Ergebnisse eigene Untersuchungen bestätigt. Allerdings sollte die Bedeutung der Studie nicht überschätzt werden, da nur etwa 2.000 der rund 26.500 türkischen Schüler das Gymnasium besuchen. Und ob die Ergebnisse auf alle Hauptschulen zutreffen, müsse man jeweils vor Ort genau prüfen, so John. Sie forderte für diesen Schultyp mehr pädagogische Betreuung am Nachmittag, um die Kontakte zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten zu erleichtern.
Auch Kenan Kolat, Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), sieht sich in eigenen Erfahrungen bestätigt. Erfordert von der Politik mehr Signale, dass Türken zu der deutschen Gesellschaft dazugehören.
Nach Ansicht von Schulsenator Klaus Böger (SPD) ist das schwerwiegendste Problem für die Integration von Ausländern weiterhin fehlende Sprachkenntnis. Böger will nun prüfen, ob zukünftig LehrerInnen mit türkischer Herkunft bevorzugt eingestellt werden können.
Auszüge der Studie waren von einem Mitarbeiter bereits im August letzten Jahres veröffentlicht worden. Damals hieß es allerdings, deutsche und türkische Jugendliche stünden in einer von Vorurteilen geprägten „beziehungslosen Beziehung“. Projektleiter Hans Merkens distanzierte sich gestern von dieser Darstellung. Damals seien nicht alle Ergebnisse in den notwendigen Zusammenhang gestellt worden, so Merkens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen