Beinahe: Mutation vom Schaf zum Wolf

■ In einem Prozess gegen einen Gegner der CDU-Unterschriftenaktion zur doppelten Staatsbürgerschaft weist der Verteidiger auf Ungereimtheiten hin / Verfahren wurde eingestellt

Von dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der Körperverletzung gegen einen Polizisten blieb am Ende des Prozesses nicht viel. Fast das Gegenteil: Die Verhandlung wurde eine unfreiwillige Lehrstunde in Sachen Polizeitaktik. Gegen eine Geldbuße von 450 Mark wurde gestern vor dem Bremer Amtsgericht das Verfahren gegen den 31-jährigen Jürgen W. eingestellt.

Es war die Zeit der CDU-Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Am Morgen des 6. Februar 1999 hatten sich die wackeren Sammler der CDU Horn vor dem Lestra-Kaufhaus in der Horner Heerstraße aufgebaut, um ihrem Sammelgeschäft nachzugehen. Auch der damalige Senator für Inneres, Ralf H. Borttscheller (CDU), kam auf einen Sprung vorbei. Lose um den Stand gruppierten sich vier, später fünf in zivil gekleidete Polizeibeamte der nahen Horner Wache, um das Objekt gegen mögliche Übergriffe von CDU-Gegnern zu sichern.

Tatsächlich fanden sich im Lauf des Vormittags rund 50 Gegendemonstranten bei dem Unterschriftentisch ein; unter ihnen Jürgen W. Bereitschaftspolizei wurde angefordert, zwei Videokameras in Position gebracht. Doch was dann geschehen sein soll, hielten die Kameras so ungenügend fest, dass auf eine Auswertung durch das Gericht gestern verzichtet wurde.

Ein Ei flog und traf den Unterschrifts-Tisch. Bewegung im Demonstrantenpulk. Gerangel zwischen einem Zivilpolizisten und Jürgen W. in der Nähe des Tisches. Wenige Minuten später griff sich eine Festnahmeeinheit den rothaarigen Jürgen W. und nahm ihn fest. Vorwurf: Bei dem Gerangel im Pulk habe W. dem Beamten vorsätzlich einen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Bei der Festnahme wenig später habe der Angeklagte sich gewehrt, indem er mit den Ellenbogen nach hinten ausgeschlagen habe.

Der Angeklagte räumte ein, dass er den Zivilpolizisten Ö. mit der Hand getroffen haben könnte, als er sich dessen Griff zu entziehen versuchte. Doch bei der Befragung der Zeugen mutierte die Staatsgewalt beinahe zum Angeklagten: „Hatten Sie Anweisungen, in der Demons-tration etwas anzuzetteln?“, fragte der Verteidiger unvermittelt einen der Zivilbeamten. Denn auf dem Video, gedreht von der Horner Polizeiwache aus, sei unbeabsichtigt ein kleiner Dialog festgehalten worden: „Soll ich mal rübergehen, provozieren?“, fragte ein Beamter im Hintergrund. „Nee, das brauchst du nicht, das läuft schon so gut“, habe ein anderer geantwortet, zitierte der Verteidiger.

„Da weiß ich nichts von“, entgegnete der Polizist, „völlig absurd“. Der Verteidiger legte nach: Ob sich Ö. oder die anderen Zivilbeamten als Polizisten zu Erkennen gegeben hätten? Ob die Demons-tration formal aufgelöst wurde, bevor der Zugriff auf W. erfolgte?

Wunde Punkte. Zu erkennen gegeben? Eher nicht. Formal aufgelöst? Daran konnte sich niemand erinnern. Am Rande der Verhandlung war zu hören, dass gar kein Megaphon vorhanden gewesen sein soll. Einen Faustschlag gegen den Beamten Ö. hatte immerhin ein Beamter beobachtet. Der Verteidiger erklärte, es gäbe einen Zeugen, dem Ö. seinerseits eine dicke Lippe zugefügt habe, bevor Ö. mit dem Angeklagten aneinander geriet. Ob der Angeklagte oder einer der benachbarten Demonstranten bei der Festnahme mit den Ellenbogen nach hinten geschlagen habe, ließe sich nicht klären.

Der hauptbetroffene Beamte Ö. konnte leider nicht vor Gericht erscheinen. Ein Termin für eine erneute Zeugenbefragung war kaum zu finden. Schlicht einstellen wollte die Staatsanwaltschaft das Verfahren allerdings auch nicht. Nach einigem gerichtlichen Verhandeln einigten sich alle Seiten darauf, das Verfahren gegen eine geringe Geldbuße einzustellen. cd