: Alle wollen mit uns werben
Anti-Expo: Sega richtet mit seinen Plakaten zur Dreamcast-Konsole Nationentage aus
Die Expo 2000 ermöglicht zurzeit in Hannover einen umfassenden und „faszinierenden Einblick in die Kultur, Lebensart und Geschichte“ der Völker – in Länderpavillons und auf den so genannten „Nationentagen“, wie es auf Expodeutsch heißt. Dort erfährt man, wie der Franzose so drauf ist, wofür der Brite so lebt und wie der Spanier aussieht.
Bei Sega Europe hat man sich nun vorgenommen, die Öffentlichkeit zumindest über die europäischen Nationen ergänzend zu informieren. Ein Anlass für eine entsprechende Kampagne war schnell gefunden: Die Sega-Konsole Dreamcast ermöglicht es seit Anfang Juni, online gegen andere Dreamcast-Spieler anzutreten – und damit auch internationale „Multiplayer-Games“ auszurichten, wie es auf Dreamcastdeutsch heißt.
Darum wird man nun in ganz Berlin (und anderen großen europäischen Städten) von leicht zu identifizierenden Franzosen, Briten und Spaniern aufgefordert, sich doch einmal zum Spielen ins Internet zu wagen. Die Plakate sind massiv geklebt worden – am Ahornblatt, in der Kottbusser Straße, vorm Friedrichstadtpalast, überall – und Sega richtet so für Berlin und anderswo in Konkurrenz zur Expo eigene Nationentage aus. Nur dass die Länderpavillons zwei- statt dreidimensional sind: Plakate eben.
Die Frage, die sich natürlich stellt, ist die: Stimmt das Franzosentum der Expo-Pavillons und der Nationentage mit dem Franzosentum der Dreamcast-Plakate überein – oder haben sich die jeweiligen Hauptverantwortlichen ganz unterschiedliche Gedanken zum Thema gemacht? Ein Vergleich gibt uns die Antwort. Das kurze Haar des Dreamcast-Franzosen ist zackig geschnitten, die Hakennase verbindet eine fast bis zur Grimasse verzerrte Augen-Mund-Formation: eine Formation, die pure Verachtung verrät. Der schwarze Existenzialisten-Rolli allerdings ergänzt diese Verachtung um eine tiefgründige Zivilisiertheit.
Auf einem markanten Kennzeichen der Zivilisation – le cinéma! – beruht auch der französische Pavillon in Hannover. Für Außen- wie Innengestaltung des Baus hat sich die Pariser Delegation von Techniken des Films inspirieren lassen. So werden Lichtbündel in rhythmischen Abständen auf die Außenfassade des Kubus geworfen. Da aber durch eine bemalte Glasfläche viel Licht in das Gebäude einfällt, wirkt der Hannoveraner Pavillon natürlich wesentlich freundlicher als die zweidimensionalen Länderplakate von Sega Europe: Der Zwischenstand im Übereinstimmungs-/Unterschiedsvergleich der Nationendarstellung beträgt also 1 : 1. Expo und Sega stimmen im Punkt der französischen Zivilisiertheit überein, liegen aber weit auseinander, wenn es zur sozialen Umgänglichkeit des Franzosen kommt.
Bleibt der Slogan und mit ihm der letzte Wertungspunkt. Auf der Expo stellt sich Frankreich unter dem Motto „Transport, Mobilität, Bewegung“ dar, Sega legt dem Franzosen auf seinen Dreamcast-Plakaten die Festellung in den Mund: „Alle eure Frauen wollen mit uns Liebe machen“. 2 : 1 für Sega.
CHRISTOPH BRAUN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen