: Er hat einen Traum
Bushs Rede war perfekt: Er beherrscht antithetische Satzbildung und Steigerungseffekte
aus Philadelphia PETER TAUTFEST
Nach fünf Tagen langweiliger Reden und Unterhaltungseinlagen, nach langen Nächten und verkaterten Vormittagen fieberte die übermüdete Gemeinde der Republikaner, die als Delegierte diese Woche in Philadelphia eigentlich nichts zu tun oder zu entscheiden hatte, am Donnerstagabend dem Höhepunkt ihres Konvents entgegen. Obwohl George W. Bush seit einem Jahr Wahlkampf macht, war seine Rede zur Annahme der Nominierung für viele Amerikaner tatsächlich die erste Gelegenheit, den Kandidaten zu erleben.
Die „Acceptance Speech“ ist traditionell einer jener Auftritte, bei denen der Kandidat sich definiert. Sie ist ein Drahtseilakt hoch oben in der Zirkuskuppel, bei der es eigentlich nur darum geht, ob der Kandidat abstürzt oder auf dem Höhepunkt bleibt, auf den der Parteitag hingearbeitet hat. Bush ist nicht abgestürzt. Bei seinen Delegierten ist er gut angekommen, seine Rede wurde nach fast jedem Satz von Standing Ovations unterbrochen. Bush definierte sich und seine drei wichtigsten Themen: die Stärkung des Militärs, das Clinton und Gore haben verlottern lassen, die Rettung der Rente, zu deren Erhalt Clinton und Gore nichts getan haben, und die Reform eines Schulwesens, das unter Clinton und Gore nur weiter verwahrloste.
Wichtiger aber als das, was Bush sagte, ist, wie er es sagte. Seit Churchill, Roosevelt und Kennedy gelten im angelsächsischen Sprachraum für große politische Auftritte bestimmte Regeln, und Reden werden danach beurteilt, ob sie diesen Regeln genügen. Mit seiner Beschwörung von „Blut, Schweiß und Tränen“ setzte Churchill den Standard für knappe Sätze. Seit Roosevelts Ausruf „Wir haben nichts zu fürchten als die Furcht selber!“ muss eine politische Rede eine Zukunftsvision ausmalen und Führung beim Aufbruch zu neuen Ufern versprechen. Seit Kennedys „Fragt nicht, was euer Land für euch, sondern was ihr für euer Land tun könnt!“ gelten antithetische Satzpaare als die polierten Bausteine großer Reden. Der eigentliche Visionär unter Amerikas Rednern aber ist Martin Luther King mit seinem „I have a dream“. George Bush machte Anleihen bei ihnen allen.
Im Leerlauf sei die Clinton/Gore-Regierung durch die Ära der Prosperität gerollt und habe wichtige Aufgaben schleifen lassen. Nach jeder Kritik folgt dann die stets gleich lautende Zusammenfassung: „Sie hatten ihren Moment, sie hatten ihre Chance, sie haben dem Land keine Führung gegeben, ich aber werde führen.“ Der Steigerungseffekt, der in der Wiederholung liegt, hat Bush Martin Luther King abgeguckt. „Nach den Skandalen und der Bitterkeit und dem Vertrauensbruch der Clinton-Ära müssen wir neu beginnen“, sagt Bush, „lang haben wir gewartet, aber jetzt wird es nicht mehr lange sein.“ Eine prosperierende Nation werde sich erneuern – „und es wird nicht lange dauern“. Hoffnung müsse wieder keimen – „und es wird nicht lange dauern“.
Bushs Redenschreiber beherrscht das komplementäre Satzpaar. Zum Elend derer, an denen der Boom vorbeiging sagt Bush: „Regierungsprogramme sind nicht die Antwort, Gleichgültigkeit aber ist nicht die Alternative.“ Die Stimme hebt sich beim ersten und sinkt beim zweiten Satz: „Wenn er glauben muss, dass sein Leben keinen Wert hat“, sagt Bush von einem jugendlichen Bandenmitglied, das er im Gefängnis besucht hat, „dann hat auch anderes Leben für ihn keinen Wert.“ Das ist ein anderer Ton, als er auf dem vorigen Parteitag vor vier Jahren in dem umjubelten Satz anklang: „You do adult crime, you do adult time“, der die Aburteilung von Jugendlichen nach dem Strafrecht für Erwachsene forderte. Bush machte überhaupt Ausführungen, über die Republikaner hergefallen wären, hätte ein Demokrat sie gemacht: „Wenn solche Probleme nicht angegangen werden“, sagt er von den hoffnungslosen Jugendlichen in Gettos und Gefängnissen, „tut sich eine Mauer durch unser Land auf. Auf der einen Seite sind Wohlstand, Technik, Bildung und Ehrgeiz, auf der anderen Seite der Mauer befinden sich Armut, Gefängnis, Drogensucht und Verzweiflung.“ Und dann ruft Bush unter Jubel, der selbst seine Anhänger in Erstaunen versetzt haben dürfte, jenen berühmten Satz Ronald Reagan vor der Berliner Mauer: „Tear down this wall!“ – „Reißt diese Mauer ein!“
Nach der Rede rollt die schier endlose Kolonne der gut gekleideten Delegierten mittleren Alters zurück in die Innenstadt an den Obdachlosen vorbei, die es sich in den Eingängen der verwaisten Bürotürme bequem machen. „Manchen dieser Leute werden wir nie helfen können, sagt Rob Gusty aus Milwaukee, „manchmal muss man sich einfach eingestehen, dass eine Generation verloren und manches Elend unheilbar ist.“
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