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Stadtteil zwischen Auf- und Abbruch

BewohnerInnen des Osdorfer Born verlangen sofortige Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe. Aber die Probleme des Viertels im Hamburger Westen liegen tiefer  ■ Von Peter Ahrens

Wolfgang Oehler könnte hier „24 Stunden am Tag arbeiten“, so viel gibt es zu tun. Hier, wo, so der Mitarbeiter des Stadtteilbüros, „die soziale Schieflage allgegenwärtig ist“. Der Osdorfer Born ist ein „Problemgebiet“, wie es der feine Lions Club Hamburg-Elbufer ausdrückt. Und die Stadtentwicklungsbehörde (Steb) stellt lapidar fest: „Das Quartiersentwicklungskonzept im Osdorfer Born ist mit zahlreichen Problemen konfrontiert.“ Alteingesessene Bewohner des Stadtteils im Westen Hamburgs klagen in einem offenen Brief an Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) über eine „Stigmatisierung unseres Stadtteils als sozialer Brennpunkt“. In dem Schreiben, das gleichzeitig auch an Bausenator Eugen Wagner (SPD) gerichtet ist, fordern sie die sofortige Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe, um „die Abwärtstendenz“ des Osdorfer Borns zu stoppen.

Die Zahlen scheinen denen recht zu geben, die vom Problemgebiet sprechen: Gut 11.000 Menschen leben im Osdorfer Born, der Anteil an SozialhilfeempfängerInnen liegt mit 20 Prozent deutlich über dem Hamburger Schnitt von 9,7 Prozent. Die Einwohnerdichte ist viermal so hoch wie im restlichen Bezirk Altona, zu dem der Born gehört. Die Arbeitslosenquote hat sich nach Zahlen aus dem Vorjahr bei 9,7 Prozent eingependelt, im Bezirk lag sie damals bei 6,8 Prozent, in Gesamt-Hamburg bei 7,3 Prozent.

Die Stadtentwicklungsbehörde listet auf: Die Anbindung des Stadtteils an den öffentlichen Nahverkehr ist schlecht, „es fehlt an Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort“, an ausreichenden Freizeitmöglichkeiten, der bauliche Zustand vor allem der Hochhäuser – zum großen Teil im Besitz von Wohnungsbaugesellschaften wie SAGA oder Altonaer Spar- und Bauverein – erfordere „punktuelle Modernisierung“. Die Briefeschreiber, die sich in der „Borner Runde“ zusammengetan haben und von denen viele bereits seit der Gründung des Stadtteiles vor 30 Jahren hier wohnen, reden Klartext: „Durch die in vielen Teilen des Gebietes ausgebliebenen Wohnungsmodernisierungen wurde der Osdorfer Born in den letzten Jahren kontinuierlich an die Grenzen seiner Belastbarkeit gesteuert“, formuliert Jutta Bilitewski, die Sprecherin der Borner Runde, in dem Schreiben an den Bürgermeister.

Besonders die Fehlbelegungsabgabe machen sie als Ursache dafür aus, dass der Osdorfer Born „zu kippen droht“. Die Abgabe, die besser situierte MieterInnen zahlen müssen, wenn sie in Sozialwohnungen leben, habe dazu geführt, „dass sozial stabile Familien und Lebensgemeinschaften und MieterInnen mit mittlerem und höherem Einkommen massiv wegziehen“. Eine schrittweise Abschaffung der Abgabe, wie es Rot-Grün wolle, bringe keine spürbare Entlastung.

Für Wolfang Oehler, der jetzt seit einem halben Jahr das Stadtteilbüro im Viertel betreut, ist das Konzentrieren auf die Fehlbelegungsabgabe aber „viel zu kurz gegriffen“. Wer gut verdiene, der ziehe auch ohne die Abgabe weg. Ursache für den Exodus zahlreicher Mieter aus dem Born sei vielmehr, dass „es hier an allen Ecken und Enden Stress gibt“. Oehler glaubt auch zu wissen, warum: Auf relativ engem Raum leben hier ganz unterschiedliche Kulturen zusammen, die in den letzten zehn Jahren „wie ein großer Kuhfladen über dem Viertel ausgekippt wurden, ohne dass sowohl die Einwohner als auch die Dazugekommenen darauf vorbereitet worden sind“. Die Belegung der Wohnungen sei „gänzlich ungesteuert“ erfolgt.

Bei der Borner Runde heißt das, die Wohnungswirtschaft habe es „versäumt, eine verträgliche Mischung unterschiedlicher Wohnformen zu schaffen“. In dem Brief an Runde taucht auch das üble Wort „überfremdet“ auf. Tatsächlich liegt der Anteil ausländischer BewohnerInnen im Osdorfer Born mit 17,4 Prozent aber nur knapp über dem Bezirksdurchschnitt (15,9 Prozent). Allerdings kommen noch viele russlanddeutsche Familien dazu, die im Osdorfer Born eine neue Heimat gefunden haben.

Für Oehler gibt es nur eine Möglichkeit: Das Verständnis zwischen den Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturen kommen, im Miteinander zu pflegen und zu verbessern. Dass da im Born noch ganz viel zu tun ist, ist ihm auch klar. Denn offene Jugendarbeit fehle eklatant, die Jugendeinrichtungen seien völlig überfordert. Die SteB analysiert: „Fehlende Jugend- und Sozialeinrichtungen führen zu steigender Gewaltbereitschaft und tragen zu einem steigenden Unsicherheitsgefühl unter den Anwohnern bei.“

Das Stadtteilbüro sieht aber nicht überall nur Vorstadt-Tristesse. Bei einem Jugendprojekt im Osdorfer Born engagieren sich junge Leute in der Pflege jüdischer Friedhöfe, den Zusammenschluss von Bewohnern in der Borner Runde nimmt Oehler ebenfalls als hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass der Stadtteil sein Schicksal in die Hände zu nehmen beginnt. „Es herrscht schon so etwas wie Aufbruchstimmung“, sagt der Stadtentwickler. Zumindest ein bisschen bewegt sich im Problemgebiet.

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