Der alte Mann und die Ems

■ Der Chef-Gegner des Emssperrwerks, Walter Bünker, gibt auf / Keine persönliche Niederlage – er sagt: „Die Ems hat verloren

Was Gerold Janssen für das Bremer Hollerland bedeutet, das ist Walter Bünker für die Ems. Seit Jahren kämpft er für den Erhalt des Flusses. Auf der Ems ist er geboren, an der Ems lebt er seit 61 Jahren. Aber Walter Bünker, Elekt-roinstallateur, Postmann, Greenpeace-Skipper und jetzt Rentner, gibt auf. Das Emssperrwerk zur Überführung großer Schiffe der Meyer-Werft aus Papenburg in die Nordsee ist nicht mehr aufzuhalten, meint Bünker. Vor zwei Jahren gab er sich noch kämpferisch in der taz . Heute sagt er: „Nicht die Naturschützer haben verloren, die Ems hat verloren. Die Ems stirbt.“

taz: Letzte Woche hat das Verwaltungsgericht Oldenburg Anfragen an die KlägerInnen im Hauptverfahren gegen den Bau eines Sperrwerkes in der Ems bei Emden verschickt, ob sie, bei der derzeitigen Rechtslage, ihre Klagen aufrecht erhalten wollen.

Walter Bünker: Unglaublich. Damit scheint das Gericht schon vor der Verhandlung das Urteil zu kennen. Wir leben ja wohl in einer Bananenrepublik.

Ist damit der Streit um die Emssperre endgültig entschieden?

Ja. Ich habe kein Vertrauen mehr in das Gericht.

Traurig? Wütend? Resigniert?

Was heißt hier resigniert. Nicht die Gegner des Stauwerkes haben verloren, sondern die Ems hat verloren. Die Ems stirbt.

Das kommt Ihnen aber locker von den Lippen?

Überhaupt nicht. Ich erlebe wie ein Stück von mir zerstört wird. Aber ich habe keine Kraft mehr für den Fluss zu kämpfen. Ich dachte immer, eine Gesellschaft lebt durch die Menschen, die sich für sie engagieren. Stattdessen werden wir beschimpft. Sobald ein Wirtschaftsboss an den Strippen zieht, hampeln die Politiker. In Ostfriesland zieht Bernhard Meyer von der Meyer-Werft an den Strippen, und zuerst Kohl, dann Schröder sind ihm zu Willen.

Immerhin hat die Bürgerintiative pro Sperrwerk in kurzer Zeit 10.000 Unterschriften für Meyer und die Emssperre gesammelt.

Dahinter steckt ja auch eine Menge Geld. Die Landkreise Emsland und Leer haben beispielsweise aus ihrer Haushaltskasse diese Ini-tiative mit fünfstelligen Summen unterstützt. Die Sperrwerksgegner, obwohl als gemeinnütziger Verein eingetragen, haben keinen Pfennig gesehen. Die Unterschriftenlisten der Meyerfreunde lagen in Rathäusern, Krankenhäusern, Gewerkschaftsbüros aus. Und die knapp 2000 MeyerarbeiterInnen haben sicher nicht gegen ihren Chef gestimmt. Wir Naturschützer sind dagegen bedroht und beschimpft worden.

Was ist aus Sicht der Meyergegner falsch gelaufen?

Ich bin kein Meyergegner. Ich bin gegen die mehrfachen Emsvertiefun-gen und den Bau des Sperrwerkes. Beides bringt die Ems um. Die letzte Emsvertiefung hätten wir nicht mehr zulassen dürfen. Statt sich zu einem Verzicht auf die Hauptklage gegen die Vertiefung überreden zu lassen, hätten alle Naturschutzverbände weiterklagen müssen. Und sei es nur, um ein Zeichen zu setzen und um die Bevölkerung zu mobilisieren.

Damals machten BUND, WWF und NABU einen Handel mit dem Land Niedersachsen. Für mehrere Millionen Mark sollte die Ems saniert werden, dafür verzichteten die Naturschutzverbände auf ihre Klage.

Heute rennen sich die Naturschutzverbände die Hacken ab, um die versprochenen Baumaßnahmen durchzukriegen, und in der Ems laichen so gut wie keine Fische mehr. Außerdem hatte Meyer versprochen, keine größeren Schiffe mehr zu bauen. Jetzt wird die Ems für Meyers Superschiffe aufgestaut. Heute ist in der Ems so viel Schlick, da können Sie zu Fuß rüberlaufen. Das Wasser ist gefährlich geworden, die Fließgeschwindigkeit des Wassers hat sich fast verdoppelt. Das führt zu Unterspülungen der Deiche, die könnten bei Sturmfluten leichter brechen. Das Sperrwerk verändert die Wasserzusammensetzung in einem Gebiet in dem sich Salz- und Süßwasser vermischen. Alles zusammen führt dazu, dass Flora und Fauna ersti-cken. Überschwemmungen werden geradezu provoziert. Ich bin mal gespannt, wer die Verantwortung übernimmt, wenn hier ein Deich bricht.

Nun soll das Sperrwerk gerade Deichbrüche verhindern.

Welche Lüge! Eine von vielen, aber die schlimmste. Allein die technische Anordnung der Stauklappen zeigt, dass die Sperre den Wasserdruck der Ems im Aufstau aushalten soll und nicht eine Sturmwelle von See. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Meyer es brauchte, hat kein amtlicher Küs-tenschützer ernsthaft über ein Sperrwerk in der Ems zum Küstenschutz nachgedacht.

Wie hat Meyer es denn geschafft, alle seine Forderungen umzusetzen?

Meyer hat seit über zwanzig Jahren die Strategie der schrittweisen Emsanpassung verfolgt. Er hat sich Aufträge zum Bau von Schiffen an Land gezogen, bei denen von Anfang an klar war, dass er die fertigen Schiffe nicht durch die Ems in die Nordsee würde schleppen können. Und er hat immer nur so viel Entgegenkommen von den Behörden erwartet, wie zur Überführung jeweils einzelner Schiffskategorien notwendig war. Nach jeder Emsanpassung hat er versprochen, keine tiefer gehenden Schiffe mehr zu bauen. Herrliche Salamitaktik eines äußerst cleveren Geschäftsmannes. Viermal hat er das mit Erfolg gemacht. Durch die Aufrüs-tung in seiner Werft, Vergrößerung der Werkhalle und Verlegung der Papenburger Hafenschleuse wird Meyer in Zukunft noch größere Schiffe bauen.

Mit welcher Konsequenz?

Die hat ein Sprecher der pro Sperrwerk-Initiative schon angedeutet. Würde Meyer Schiffe bauen, die seine aktuellen Kapazitäten voll ausschöpfen, dann müsste die Ems weiter begradigt, die Ufer weiter mit Steinen befestigt und mit Spundwänden eingesäumt werden. Damit ist schon begonnen worden. Die Ems verkommt zum Kanal.

Was würden Sie Bernhard Meyer bei einem Bier sagen?

Mensch Bernhard, warum bist du so größenwahnsinnig, unbedingt die größten Seeschiffe ausgerechnet im Binnenland bauen zu wollen. Ob du in Papenburg oder in Emden am tiefen Wasser deine Luxusliner baust, die 38 Kilometer sind für die Produktion doch schnurz. Aber diese 38 Kilometer entscheiden darüber, ob deine Kinder und Enkel noch eine halbwegs intakte Ems erleben dürfen.

Fragen: Thomas Schumacher