piwik no script img

Empörung über eine Predigt

Der Rabbiner und geistige Mentor der Schas-Partei, Ovadia Josef, bezeichnet Holocaust-Opfer als wieder geborene Sünder. Gleichzeitig attackiert er Israels Ministerpräsidenten und die Palästinenser

aus Jerusalem ANNE PONGER

Eine Welle der Empörung und Beschämung hat in Israel am Wochenende die Sabbatpredigt von Rabbiner Ovadia Josef ausgelöst. Der spirituellen Mentor der orientalisch-orthodoxen Schas-Partei wollte seine Gemeinde auf die gestern beginnende traditionelle Trauerwoche anlässlich der Zerstörung beider jüdischer Tempel vorbereiten. Die sechs Millionen durch die Nazis Ermordeten, so Rabbiner Josef, seien Reinkarnationen all jener Juden, die in ihrem früherem Leben gesündigt hätten. Sie hätten ihre Verfehlungen durch den Tod sühnen müssen.

In Kommentierung der aktuellen Politik fügte Josef hinzu, Ministerpräsident Ehud Barak habe „keinen Verstand“, sondern „laufe Amok“ hinter den Palästinensern, „Israel-Hassern, Schlangen, für deren Erschaffung sich Gott schäme“, so Josef. Wenn man ihnen Teile der Jerusalemer Altstadt ausliefere, würden sie es vor allem darauf anlegen, Juden zu ermorden.

Schockiert reagierten im Laufe des Tages nicht nur Holocaust-Überlebende, sondern das gesamte politische Spektrum von links bis rechts sowie zahlreiche jüdische Theologen einschließlich des aschkenasischen Oberrabbiners Israel Lau. Nachdem die Predigt im Original am Sonntag im israelischen Rundfunk übertragen worden war, wurde der Sender mit hunderten von Anrufen und Faxprotesten aufgebrachter Hörer überschwemmt. Oberrabbiner Lau, selbst KZ-Überlebender, meinte, es sei viel zu früh, theologische Erklärungen zu einem so schmerzhaften Thema wie dem Holocaust abzugeben. Der neue traditionell religiöse Staatspräsident Mosche Katsav betonte, er sei über die Worte von Rabbiner Josef bestürzt und könne seine Ideen nicht teilen. Ministerpräsident Barak kritisierte scharf, die Holocaust-Interpretation von Josef sei eines Rabbiners in seiner Position unwürdig und besudele das Andenken an die Ermordeten.

Schas-Abgeordnete, darunter Parteiführer Eli Jischai, versuchten die Bedeutung der Worte Josefs mit der Erklärung zu entschärfen, dass sie auf theologischem Insiderwissen, auf Auslegungen von Talmud und Gemara beruhten, die von säkularen Juden nicht verstanden würden. Tatsächlich hat das religiöse Judentum bis heute keine plausible theologische Erklärung für den Holocaust gefunden. Nach der Ermordung von sechs Millionen Angehörigen des „auserwählten Volkes“ gab es bisher nur die Möglichkeit, sich von Gott als dem „Schuldigen“ abzuwenden, die Schuld bei den Ermordeten oder im Zionismus zu suchen oder die Frage theologisch nicht anzuschneiden.

Da die wöchentlichen Predigten von Ovadia Josef in den letzten Monaten häufig grobe politische Aufwiegelungen enthielten, werden sie von den Medien scharf beobachtet. Rabbiner Ovadia Josef genoss lange Zeit das Image eines gemäßigten Religionsführers, nachdem er vor Jahren eine halachische, d. h. theologische Entscheidung veröffentlicht hatte, nach der Gebiete von „Erez Israel“ aufgegeben werden dürften, wenn damit jüdisches Leben gerettet werden könne.

Seine Kehrtwende nach rechts hatte vor Beginn der Camp-David-Verhandlungen bereits zum Auszug der Schas aus der Koalition geführt. Am vergangenen Freitag hatte Ministerpräsident Barak erneut Fühler nach der Schas-Partei ausgestreckt, um die Regierung noch vor weiteren Friedensgesprächen wieder zu beleben und vorgezogene Neuwahlen zu verhindern. Die Wochenendhetze gegen Barak und die Palästinenser sind dazu angetan, die Kontakte zwischen Barak und Schas-Führer Jischai im Keim zu ersticken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen