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Nordirische Traditionen

Schiffe wurden in Belfast bereits vor mindestens tausend Jahren gebaut. Das erste Mal schriftlich erwähnt ist der Schiffbau allerdings erst 1636, als die presbyterianische Kirche einen Hundertfünfzigtonner bauen ließ.

Zwei Jahrhunderte später war Belfast die am schnellsten wachsende Stadt der Britischen Inseln und ihr drittwichtigster Hafen. Hauptgrund dafür war die Schiffbauindustrie.

Dabei war Belfast für den Schiffbau eigentlich ungeeignet. Eisenerz war rar in Nordirland, nennenswerte Kohlevorkommen gab es nicht. Darüber hinaus war die Zufahrt zum Belfaster Hafen gefährlich, größere Schiffe mussten drei Meilen vor der Küste ankern.

Erst Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Belfaster Hafenkommission die Politiker dazu gebracht, eine tiefe Fahrrinne ausbaggern zu lassen. Der Victoria Channel wurde 1849 eröffnet, der ausgebaggerte Schlamm war mitten im Fluß Lagan liegen geblieben und bekam den Namen Queen’s Island.

Die Hafenkommission versuchte, Unternehmen zu überreden, sich auf dieser Insel niederzulassen. Ein Robert Hickson griff 1854 zu und baute eine Werft auf. Da er von Schiffen nichts verstand, stellte er den damals erst 23-jährigen Edward Harland aus dem englischen Scarborough als Manager ein. Vier Jahre später zog sich Hickson aus dem Geschäft zurück und verkaufte Werft und Grundstück auf Queen’s Island für fünftausend Pfund an Harland.

Der entpuppte sich als rücksichtsloser Arbeitgeber: Er senkte die Löhne, verbot das Rauchen auf dem Werftgelände und holte Streikbrecher aus England, wenn seine Leute streikten. Ursprünglich wollte Harland die Werft, nachdem sie in seinen Besitz gekommen war, nach Liverpool verlegen, doch der dortige Stadtrat fand den Unternehmer zu „jung und unerfahren“ und lehnte seinen Antrag ab.

Harlands Geldgeber war ein Gustav Schwabe, der an der Liverpooler Schifffahrtslinie John Bibby beteiligt war, Harlands Hauptauftraggeber.

Für Bibby baute Harland die „Venetian“, die „Sicilian“ und die „Syrian“, die im Volksmund Bibbys Särge genannt wurden, weil sie länger waren als gewöhnliche Schiffe, jedoch ohne stärkere Decksbalken. Für Stabilität sorgten neuartige, kastenförmige Träger und eine flache Schiffsunterseite, die im Fachjargon fortan Belfaster Hintern hieß.

Mit Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs erhielt Harland von den Konföderierten eine ganze Reihe von Aufträgen für schnelle Dampfschiffe, so dass er einen Partner ins Geschäft nehmen musste: Gustav Wilhelm Wolff, einen 27-jährigen Ingenieur aus Hamburg, der Schwabes Neffe war.

Schwabe selbst gründete 1869 die White Star Line, die mit der berühmten Cunard-Linie auf der Nordatlantik-Strecke konkurrierte. 1870 ließ White Star die „Oceanic“ bei Harland & Wolff bauen, das erste richtige Kreuzschiff, das „so bequem wie ein Schweizer Hotel“ war, wie die Werbung versprach. 1899 baute die Werft ein zweites Schiff mit demselben Namen.

Die neue „Oceanic“ war das „größte von Menschen hergestellte bewegliche Objekt des 19. Jahrhunderts“, verkündete Harland & Wolff stolz. Dreizehn Jahre später baute die Werft ein Schwesterschiff: Die Titanic sank 1912 auf ihrer Jungfernfahrt.

White Star, Harland & Wolffs Hauptkunde, erholte sich von diesem Prestigeverlust nicht mehr, und nach dem Ersten Weltkrieg, der der Werft noch einmal wirtschaftlichen Auftrieb gegeben hatte, ging es auch mit Harland & Wolff bergab. RASO

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