: Stadt sollte Sperrminorität an Internet-Seiten bremen.de halten
■ Herbert Kubicek, Internet-Experte und Professor an der Universität Bremen, zur absehbaren Privatisierung von bremen.de
Herbert Kubicek ist wohl das, was man einen Internet-Guru nennen darf. Der Professor für Angewandte Informatik und Leiter der Forschungsgruppe Telekommunikation ist Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien, die sich mit der Zukunft der Informationstechnologien beschäftigen. Auch auf lokaler Ebene ist Kubicek aktiv: An dem Aufbau des Stadtinformationssystems bremen.de und am Projekt media§komm war Kubicek maßgeblich beteiligt. Die taz wollte von Kubicek wissen, worauf bei der nun zu erwartenden Privatisierung von bremen.de zu achten ist.
taz: 1996 haben Sie geschrieben, dass vieles dafür spräche, „auch bei den neuen interaktiven Medien und Online-Diensten erst einer Kombination aus öffentlichen Infrastrukturen und Märkten den Zugang für einen möglichst großen Teil der Bevölkerung“ zu ermöglichen. Jetzt wird bremen.de privatisiert. Ist der Zeitpunkt gut gewählt?
Herbert Kubicek: Privatisierung ist ein missverständlicher Ausdruck. Das Bremer Stadtinformationssystem war immer gedacht als ein Abbild des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens. Ich bin Bürger und Konsument. Deshalb möchte ich, wenn ich eine Allergie habe, sowohl die Stellen des Gesundheitsamtes, als auch die Fachärzte und die Selbsthilfegruppen im Netz finden. Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft gehören in einem Stadtinformationssystem zusammen. Es ist aber auch klar, dass die Stadt nicht aus Steuermitteln die Darstellung der wirtschaftlichen Unternehmen übernehmen kann. Daher war hinsichtlich der Trägerschaft immer ein drei-Säulen-Modell angedacht. Jetzt sollen endlich Private mit ins Boot geholt werden, um sich die Kosten zu teilen und das ganze wirtschaftlich tragfähig zu machen.
Inzwischen will Bremen nicht einmal mehr unbedingt eine Sperrminorität von 25,1 Prozent behalten. Entscheidet das nicht über den öffentlichen Einfluss auf das Internet-Angebot?
Wenn man über die Anteile redet, redet man eigentlich über den technischen und den wirtschaftlichen Betrieb des Systems. Auf der redaktionellen Ebene werden die Verwaltungsinhalte weiter zu 100 Prozent von der Freien Hansestadt Bremen bereitgestellt. Die öffentlichen Interessen können allerdings nur dann auf Dauer gewahrt werden, wenn eine Sperrminorität gewährleistet bleibt: So hat man bei den technischen und wirtschaftlichen Entscheidungen ein Vetorecht. Nur so kann Bremen verhindern, dass so etwas geschieht wie in Berlin: Inzwischen wird berlin.de ja aus der Schweiz gemanaged.
Sie plädierten 1996 auch für eine „größtmögliche Streuung von Möglichkeiten“. Wäre das bei stärkerer komerzieller Beteiligung in Bremen noch gegeben?
Ja. Die kommerziellen Angebote haben in den letzten zwei Jahren eine starke Regionalisierung erfahren und versuchen, den zivilgesellschaftlichen Teil mit einzubeziehen. Der Grund: In der Alternativ- und Selbsthilfeszene findet man viele zahlungskräftige Menschen. Jedes zusätzliche Angebot erhöht den ökonomischen Nutzen.
Bei dem vollständig privatisierten berlin.de spielt Alternativ-Kultur keine Rolle mehr.
Richtig. Da wurden die Möglichkeiten dieser breiten Angebotspalette offenbar nicht erkannt.
Inwieweit kann man davon ausgehen, dass ein Domain-Name wie bremen.de auch in zehn Jahren noch etwas Besonderes ist?
Wenn ich eine Stadt im Internet besuchen will, werde ich immer den Stadtnamen eingeben. Das ist heute so und wird in zehn Jahren wohl genauso sein. In der Fülle der Internet-Angebote spielen Portale als Einstiegspunkte eine immer wichtigere Rolle. Es gibt drei Sorten von zukunftssicheren Portalen: themenspezifische wie für Musik, Film oder Sport; dann die klassischen Medien wie „Focus“ oder „Spiegel“ und drittens die lokalen und regionalen Portale.
Die Bremer SPD will in einem Gesetz festschreiben, welche Rechte auf Information ein Bürger über bremen.de einlösen kann. Macht das Sinn?
bremen.de ist derzeit ein Verweissystem, das zu einzelnen Institutionen, Vereinen, Firmen führt. Was die Institutionen an Informationen bereitstellen, entscheiden diese selbst – das Resultat ist ein sehr unterschiedliches Angebot je nach Institution. In den Bundesländern Berlin und Brandenburg ist gesetzlich geregelt, auf welche Informationen der Verwaltung der Bürger Anspruch hat. Bremen will das auch tun. Auf welche Daten über Stadtentwicklung, Umweltbelastung oder politische Entscheidungen habe ich ein Anrecht? Schließlich wurden die ja mit meinem Steuergeld erstellt. In ein solches Gesetz soll ein Zusatz eingebaut werden, dass diese Informationen über bremen.de abrufbar sein sollen.
Es zeichnet sich ab, dass ein Konsortium bestehend aus Radio Bremen, Weser Kurier, Bremer Touristik Zentrale, Bremen Business Net und Sparkasse das Internet-Stadtinformationssystem bremen.de übernehmen wird. Eine gute Mischung?
Ich habe keine so detaillierten Präferenzen. Es ist nicht immer so, dass die Gesellschafter auch diejenigen sind, die das Internet-Angebot inhaltlich gestalten. Es gibt schließlich unterschiedliche Gründe, als Gesellschafter in so ein Projekt einzusteigen. Ich würde die Inhalts-Ebene sogar am liebsten von der Gesellschafter-Ebene trennen. Es kann ja durchaus schlauer sein, bestimmte Leistungen für bremen.de auf dem Markt einzukaufen.
Was muss geschehen, damit sich das Stadtinformationssystem bremen.de jetzt sowohl aus der Sicht der Nutzer als auch eines Internet-Demokratietheoretikers weiterentwickelt?
Da gibt es vier Punkte. Zum Ersten: Wir brauchen schnell eine vertragliche Lösung über die Zukunft von bremen.de. Seit Anfang des Jahres stehen kaum noch Mittel bereit, um die laufenden Kosten zu decken. Stillstand ist – wenn alle anderen sich vorwärts bewegen – Rückschritt. Mich bedrücken diese Verzögerungen. Mir ist inzwischen ziemlich egal, wie viele Partner zusammenkommen oder wie viele Anteile sie bekommen – das muss einfach entschieden werden, damit sofort in einen verlässlichen Betrieb übergegangen und in eine Weiterentwicklung investiert werden kann.
Zum Zweiten: Das Angebot der Verwaltung muss attraktiver gemacht werden. Da befinden wir uns inzwischen auf einem guten Weg. Mein Rat würde lauten: So wie wir derzeit schon eine Schlagwortsuche bei den Institutionen haben, müssten auch die Behörden verpflichtet werden, ihre Informationen nach einem gemeinsamen Schlagwortkatalog zu ordnen – erst dann kann man den geplanten gesetzlichen Anspruch auf Zugang zu den Informationen der Verwaltung auch praktisch einlösen. Es reicht nicht , einfach die Daten irgendwo abzulegen, wo sie kaum zu finden sind.
Und die weiteren Punkte?
Zum Dritten: Für den Bereich „Vereine und Initiativen“ muss eine klare Lösung ausgehandelt werden, die anzeigt, wie dieser Bereich weiterhin integriert wird. Denn das ist eine absolut notwendige Ergänzung zum Angebot von Verwaltung und Wirtschaft. Die Aufgabe bei bremen.de wird sein, die Redaktion „Vereine und Initiativen“, die beim Medienzentrum Walle aus einer ABM-Maßnahme finanziert wird, zu sichern. Dieser Redaktionsteil muss aus der Verwaltungs- und aus der kommerziellen Redaktion heraus finanziert werden. hamburg.de hat das im Betreibervertrag festgeschrieben.
Zum Vierten: Der Anteil der Bevölkerung, die das Internet nutzen können, ist noch nicht groß genug, um von möglichen repräsentativen demokratischen Entscheidungen sprechen zu können, die über das Internet organisiert werden könnten. Damit meine ich nicht die öffentlichen Terminals – die Erfahrungen damit sind eher frustrierend und sehr teuer. Vielen Menschen muss ja erst einmal gezeigt werden, wie man im Internet eine Suche veranstaltet. Wenn das ein Qualifikationsproblem ist, muss die Lösung darin liegen, betreute Zugangsplätze zum Internet bereitzustellen. Dabei würde es Sinn machen, themenspezifisch vorzugehen und zum Beispiel „Reiseplanung“ oder „Jobsuche“ im Internet anzubieten.
Fragen: Christoph Dowe
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