die stimme der kritik
: Betr.: Die Madman-Theorie

Mehr Irrationalität und Rachsucht, bitte!

Sehr hübsch, die „madman theory“, die Noam Chomsky in der aktuellen Le Monde diplomatique vorstellt. Sie geht auf Richard Nixon zurück, wird immer noch vom atomwaffenstarrenden US-Strategic-Command vertreten und besagt, dass es einen hübschen Abschreckungseffekt ergibt, wenn die Feinde der USA glauben müssen, die US-Regierung verhalte sich „irrational und rachsüchtig“, sobald ihre vitalen Interessen berührt sind. Zumal ein solcher Glaube nicht so schwer fällt.

Endlich mal eine Theorie mit unmittelbarem Nutzwert! Plötzlich werden einem Phänomene klar, die man sich bislang nur schwer erklären konnte. Zum Beispiel, warum der Schäuble den Kohl so lange Kanzler sein ließ. Er musste befürchten, dass Kohl, sobald er sein Kanzleramt los wäre, einfach durchdrehen würde. Und so ist es dann ja auch gekommen. Madman Helmut.

Und Bayern München? Auch hier wirkte die „madman theory“. Na klar musste man die Bayern sowieso Meister werden lassen, solange Lothar Matthäus bei ihnen wirkte. Der Abschreckungseffekt dieses Fußballers war zu grauenerregend. Nicht auszudenken, wenn dieses ständig dräuende Potenzial an Irrationalität und Rachsucht in seiner ganzen Potenz zum Ausbruch gekommen wäre! Den ganzen deutschen Fußball hätte er zu Fall bringen können. Dass er es dann doch getan hat, ließ sich ja nicht ahnen.

Überhaupt muss man zum Bundesligastart in Bezug auf schräge Vögel der Weitsicht des Herrn Hitzfeld unbedingt Respekt zollen. Schließlich hat er, den Weggang Lothars antizipierend, wohlwollend hingenommen, dass sich Oliver Kahn in der internen Hierarchie emporarbeitete. Er ist Matthäus’ wahrer Nachfolger. Was wohl passieren würde, wenn Kahn neben seinen sonstigen Waffen auch noch über Atomraketen verfügte? So abwegig ist der Gedanke schließlich nicht, dass er sie auf heranstürmende gegnerische Angreifer abschösse. Hey, Pentagon: Was braucht man ein Strategic Command, wenn man so einen Torwart hat?

Was lehrt uns das? Vor allem dies: Wir von der taz brauchen nur unser Potenzial an Irrationalität und Rachsucht zu erhöhen, und schon traut sich kein Leser mehr, sein Abo zu kündigen. Sollte uns nicht zu schwer fallen. Und eins ist sicher: Würden Richard Nixon, Oliver Kahn oder ein paar Atomwaffen in unserem Redaktionsgebäude wirken, die Lage sähe ganz anders aus. DIRK KNIPPHALS