: Politischer Risikofaktor Recht
Kann ein NPD-Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen? Ja, legen die Urteile gegen SRP und KPD aus den 50er-Jahren nahe. Nein, lässt die Entwicklung seither vermuten
BERLIN taz ■ „Ich stelle unmissverständlich klar, dass die NPD seit ihrer Gründung 1964 Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele strikt ablehnt, sich eindeutig zum Grundgesetz bekennt und als demokratische Partei von unten nach oben aufgebaut ist.“ Mit dieser Erklärung versucht NPD-Parteichef Udo Voigt, den Verbotsforderungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es wird ihm im Ernstfall aber nicht viel nützen. Denn die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts stammen aus den noch unruhigen 50er-Jahren, und in den Verbotsverfahren gegen die nazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) und die kommunistische KPD hat das Gericht den Bekenntnissen von Funktionären „wenig Beweiswert“ zugemessen. Auch Parteiprogramme und andere öffentliche Äußerungen wurden nicht als ausschlaggebend angesehen. Vielmehr versuchte das Gericht, die „wahren Ziele“ einer Partei zu ergründen.
Entscheidend ist laut Grundgesetz, ob eine Partei „darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“. Schon im SRP-Urteil 1952 hat Karlsruhe definiert, was es unter dem eher vagen Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung versteht. Konkret listet das Gericht neun Elemente auf:
– Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten
– Volkssouveränität
– Gewaltenteilung
– Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament
– Bindung der Verwaltung an die Gesetze
– Unabhängigkeit der Gerichte
– Mehrparteiensystem
– Chancengleichheit für alle politischen Parteien
– Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
Die KPD wurde 1956 verboten, weil sie als Durchgangsstadium zum Kommunismus die „Diktatur des Proletariats“ anstrebte und damit zumindest das Mehrparteiensystem ablehne. Nach Karlsruher Ansicht reichte bereits dieses „Fernziel“ für ein Verbot. Der KPD-Einwand, dass sie sich aktuell durchaus an die demokratischen Spielregeln halte, wurde nicht akzeptiert. Ein Parteienverbot sei, so Karlsruhe damals, „Vorsorge für die Zukunft“.
Im Verfahren gegen die SRP wurden vor allem drei Punkte angeführt. Zum einen ähnele sie in ihrem Selbstverständnis und durch ihr Führerprinzip der NSDAP. Zweitens bekämpfe sie die anderen Parteien derart fundamental, dass daraus eine Ablehnung des Mehrparteiensystems abgelesen wurde. Und schließlich wurde in der antisemitischen Agitation der SRP auch eine Missachtung der Menschenrechte gesehen.
Abzustellen ist laut Grundgesetz im Übrigen nicht nur auf das Verhalten der Partei selbst, sondern auch auf dasjenige der „Anhänger“. Als solche galten 1952 „alle, die sich für die SRP einsetzen“, also nicht nur die Mitglieder der Partei. Unter dem Strich gesehen könnte mit diesem Instrumentarium wohl jede als extremistisch geltende Partei verboten werden.
Auch die häufig zitierte Formel des Gerichts, dass es für ein Parteiverbot auf „eine kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“ ankommt, verlangt nicht allzu viel. Wie die bisherigen Verfahren zeigen, kommt es dabei nicht auf die Ausübung von Gewalt an, vielmehr genügt bereits die kämpferische „Agitation“.
Allerdings sind die damaligen Urteile in ihrer Zeit zu sehen. Der Faschismus war erst kurz besiegt, der Kalte Krieg tobte, noch war unklar, wie sich die westdeutsche Demokratie entwickeln würde. Da ein Parteienverbot in der Demokratie immer systemwidrig ist, würden die Richter die Hürden heute wohl deutlich höher legen.
CHRISTIAN RATH
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