: Der Trend geht zur Zweitleber
Großbritannien gibt dem Druck aus Industrie und Forschung nach. Als Erste wollen die Briten das „therapeutische Klonen“ menschlicher Zellen erlauben
von REINER METZGER und MATTHIAS URBACH
Die Debatte musste kommen. Als es schottischen Forschern vor drei Jahren gelang, aus der Zelle eines erwachsenen Schafs wieder einen Embryo herzustellen und so das Schaf zu klonen, war klar: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass Mediziner diese Technik auch auf den Menschen anwenden wollen.
Und natürlich geht es dabei nicht um das Herstellen geklonter Menschen, sondern um Medikamente, Ersatzorgane und Hirnzellen. Doch in Deutschland ließ man sich mit der Debatte reichlich Zeit. Anders die Briten. Als 1998 die amerikanischen Forscher weitere Fortschritte machten (siehe Text unten), fackelte die britische Regierung nicht lange: Sie setzte umgehend eine Kommission ein, um dieses ethische Problem zu lösen. Gestern nun gab der Leiter der Kommission, Liam Donaldson, im Namen der Regierung den Weg frei für das „therapeutische Klonen“ menschlichen Gewebes – unter strengen Auflagen.
Donaldson spricht sich dafür aus, aus geklonten menschlichen Embryozellen neues Gewebe zu gewinnen, das zu Behandlungszwecken eingesetzt werden kann – also nicht nur für die Forschung, wie es in den USA schon erlaubt ist. Der Einsatz dieser neuen Technik beim Menschen sei ethisch vertretbar, er müsse aber streng kontrolliert werden, urteilte die britische Kommission – und erhielt dafür die Zustimmung der Minister. Das Klonen ganzer Menschen soll so unmöglich werden.
Nach britischen Presseberichten hatte sich die Veröffentlichung des Berichts wegen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung immer wieder verzögert. Zahlreiche britische Wissenschaftler drängen aber auf eine schnelle Entscheidung, um Großbritannien zu einer Führungsrolle in der boomenden Gen- und Biotechnik zu verhelfen. Die britische Regierung wird wahrscheinlich im Herbst die Schlüsse Donaldsons dem Parlament vorlegen.
Derweil gibt es in Deutschland noch nicht mal den Ansatz eines Regelungsentwurfs. Einerseits verbietet das Embryonenschutzgesetz „verbrauchende Embryonenforschung“, andererseits dürfen weiterentwickelte Stammzellen aus Embryonen zur Forschung importiert werden. Wieder hängt die hiesige Diskussion zurück. Der Druck aus Forschung und Industrie, das therapeutische Klonen freizugeben, wird auch in Deutschland steigen. Zu groß ist die Angst, in der Forschung abgehängt zu werden. Und zu verlockend sind die Vorteile: im Labor gezüchtete Organe und Nervenzellen, Medikamente gegen Parkinson und Alzheimer.
Die Stammzellen gehören zu dem „Spannendsten, was die Zellbiologe derzeit zu bieten hat“, freute sich jüngst der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker. Und der Transplantationsexperte Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover wünscht sich großzügigere Gesetze in Deutschland: „Therapeutisches Klonen muss möglich sein.“ So könne nicht nur der Engpass an Spenderorganen beseitigt werden.
Während Forscher in den USA embryonale Stammzellen des Menschen zu Forschungszwecken gewinnen und nutzen, ist es in Ländern wie Australien, Dänemark und anderen EU-Staaten bisher nicht erlaubt. Doch nicht nur in Großbritannien, auch in Schweden berät man bereits über eine Lockerung.
Zwar wurde auch in Deutschland in den vergangenen Monaten über eine Lockerung des geltenden Embryonenschutzgesetzes geredet. Im Vordergrund dabei steht aber bisher die Präimplantationsdiagnostik – eine Art Gen-Check bei Retortenbabys. Im Forschungsministerium ist man jedoch froh, dass das Thema Klonen nun eine größere Aufmerksamkeit bekommt. „Wir bleiben dabei, das Embryonenschutzgesetz zu überprüfen“, erklärte der parlamentarische Staatssekretär im Forschungsministerium, Wolf-Michael Catenhusen (SPD). Zu einem „Schnellschuss“ wolle man sich aber nicht hinreißen lassen, versicherte er. Doch das wird nun schwierig – und eine Einflussnahme auf andere Länder ist durch das Trödeln erst recht verspielt.
Immerhin legte die Deutsche Forschungsgemeinschaft dieses Jahr ein Programm auf, in dem die Eignung verschiedener Zelltypen für medizinische Anwendungen ausgelotet werden soll. Die Hoffnung der DFG ist, Alternativen zur Verwendung embryonaler Stammzellen zu finden. Denn auch andere Körperzellen könnten sich zum Umprogrammieren im Sinne der Mediziner eignen – und so ethische Konflikte vermieden werden. Doch bis hier Ergebnisse vorliegen, werden Jahre vergehen.
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