: Gesicht zeigen mit Rechtsradikalen
■ Die ostfriesische Stadt Leer tut sich schwer, sich dem bundesweit ausgerufenen „Kampf gegen Rechts“ anzuschließen
Leer – In Leer/Ostfriesland trifft die bundesdeutsche Kampagne „Gesicht zeigen gegen Rechts“ auf einen wohlorganisierten Schutzwall. Der Fall: Seit Jahren weigern sich Politiker und Verwaltung einen ehemaligen Bürgermeister öffentlich als fanatischen Nazi zu outen. Bürgermeister der Stadt Leer von 1933 bis 1945 war der von den Nationalsozialisten eingesetzte Erich Drescher. Seinen Vorgänger im Amt, von Bruch, ließ er im Handstreich gefangen nehmen und bezichtigte ihn der Veruntreuung von Stadtgeld. Die Vorwürfe ließen sich selbst nach Nazirechtsauffassung nicht halten. Von Bruch konnte die Scham totzdem nicht ertragen, er nahm sich das Leben. Dre-scher dagegen wurde auf den Schultern seiner Anhänger durch ein Spalier jubelnder LeeranerInnen ins Rathaus getragen. Von Bruch war der erste Bürgermeister der Stadt, der nach geltendem Recht vom damaligen Stadtrat in sein Amt gewählt worden war.
Lange Jahre hingen die Portraits Dreschers und von Bruchs kommentarlos nebeneinander in der Ehrengalerie des Rathauses. Mitte der 90er Jahre organisierte eine örtliche Bürgerinitiative einen Besuch ehemaliger BürgerInnen jüdischen Glaubens. Deren Gemeinde war unter Drescher eliminiert, die Synagoge, neben den zwei anderen Kirchbauten Wahrzeichen der Innenstadt, verbrannt worden. Dre-scher persönlich hatte Löscharbeiten untersagt und den Einsatz der Brandschatzer in der „Reichskristallnacht“ mitorganisiert.
Während des Besuches der Leeraner JüdInnen verschwand Dreschers Portrait aus der Ehrengalerie. Worauf eine mittlerweile demokratisch legitimierte rechte Truppe im Stadtrat, die Allgemeine Wählergemeinschaft (AWG), die Wiederinstallation des Drescherkonterfeis forderte. Irgendwann hing das Bild wieder da. Dann verschwand es wieder. Bis heute klafft eine Lücke in der Ehrengalerie. Eine Lücke, die eine niederländische Zeitung vor gut einem Jahr veranlasste zu fragen: „Drücken sich die LeeranerInnen vor ihrer Geschichte?“
Diese Frage lies zwei Leeraner Bürger nicht ruhen. Unabhängig von einander reichten sie beim heutigen Bürgermeister Günther Boekhoff (SPD) je einen Vorschlag ein, wie mit dem Drescherbild verfahren werden könnte. Gemeinsamer Tenor: Hängt das Bild oder ein anderes Bild von Drescher auf, aber erklärt, wer der Mann war und was er verbrochen hat. Mit den beiden Vorschlägen befasste sich das höchste Verwaltungsgremium der Stadt, der Verwaltungsauschuss (VA). Stimmberechtigtes Mitglied im VA ist die rechte AWG. Im VA konnte keine Entscheidung, wie mit Drescher zu verfahren sei, getroffen werden. In der letzten Stadtratssitzung wurden beide Vorschläge ohne eine Empfehlung vorgelegt – und abgelehnt. AWG: Alle Bürgermeister sollen ohne Text präsentiert werden. SPD: Heben wir den Drescher nicht besonders hervor, wenn wir ihn mit einem erklärenden Text versehen? Die Grünen stritten über mögliche Deutungen der Textentwürfe und wollten vertagen. Eine linke SPD-Abspaltung sperrte sich gegen jeden Text und jedes Drescherbild – die Lücke soll bleiben. Die CDU schlug eine besonders pfiffige Variante vor. Ihr stellvertretender Bürgermeister, Hendrik Hamer, seines Zeichen Berufsschullehrer: „Wir sollten das Drescherbild aufhängen. Wir schreiben einen erklärenden Text und kleben den auf die Rückseite des Bildes. Wer will, kann das Bild umdrehen und den Text lesen.“ Im Oktober soll das Thema Drescher nach sechs Jahren noch einmal im Stadtrat verhandelt werden.
Wie die Stadt mit entsprechenden Texten umgeht, hat sie in einem anderen aktuellen Fall gezeigt: Seit über zwei Jahren erforscht eine ABM-Kraft die Stadtgeschichte Leers zwischen 1933 und1945. Schonungslos sollte alles aufgeklärt werden, versprach Bürgermeister Boekhoff: „Selbstverständlich werden wir auch unsere Giftschränke öffnen.“ Jetzt ist die AB-Maßnahme beendet. „Einen Abschlussbericht gibt es nicht, es gibt Zwischenberichte“, erklärt Stadtsprecher Alfred Dannen. Diese Zwischenberichte sind allerdings nicht öffentlich. „Wir müssen da noch mal drüber und dann überlegen, was wir damit machen. Eine Zensur ist das aber nicht“, sagte Dannen der taz.
Thomas Schumacher
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